# 530: BOOK OF THE WEEK — “Berge versetzen“ (II)

Messner, Reinhold (2010). Berge versetzen: Das Credo eines Grenzgängers.

Geschichte hinter der Buchauswahl

Eben habe ich mir noch mal meinen ersten Post zu Messners Buch vom 11. November letzten Jahres durchgelesen. Ich kann kaum glauben, dass es schon so viele Monate her ist, seitdem ich die erste Hälfte des Buches durchgelesen habe. Es war so dicht an Erkenntnissen und Reflexionen, dass ich wahrscheinlich unbewusst erst mal länger verdauen musste. Zudem habe ich danach wieder ein kleines Abenteuer in Deutschland unternommen (meine Zeit bei der Seemannsmission in Hamburg). Vielleicht hat mich das Buch des Abenteurers Messner indirekt angesteckt. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich es in den letzten Tagen wieder zur Hand genommen habe, um den zweiten Teil zu lesen. Ich musste einfach… Es war wie eine Kraft, die mir sagte, „jetzt musst Du wieder in Messner schauen“, da wartet ein noch stärkerer Spiegel auf Dich, in den Du vorher gar nicht schauen wolltest.

Und in der Tat war es so. Natürlich weiß ich, dass ich Grenzgängerin bin, genauso wie er. Mein Problem ist nur, dass ich das lange nicht wahrhaben und annehmen und schließlich lieben konnte. Da waren viele Reste von „Du musst aber so oder so doch irgendwie ‚normal‘ leben“. Wenn man Messner liest, dann lernt man, dass man gar nichts muss, außer man selbst zu sein. Das ist die größte Aufgabe, die wir im Leben haben. Manchen wird sie sehr früh bewusst und sie fangen an, nach diesem „Selbst“ zu suchen, weil sie irgendwie spüren, dass sie das noch nicht sind, zumindest nicht „nach außen“ und „im Leben“. Andere scheren sich darum nie und sind einfach so wie sie sind, ohne darüber nach zu denken. Das ist alles gut, so wie es eben passiert in einem jeden Leben.

Die wichtigste Erkenntnis für mich beim Lesen war, inmitten der vielen „Erwachensmomente“ in diesem Buch, dass es kein Zurück mehr gibt. Man braucht keine Angst zu haben, dass man wieder in einen unbewussten Zustand von früher zurückfällt, auch wenn man erst mal verkraften und wertschätzen darf, dass man eben früher gewisse Dinge an der eigenen Person gar nicht oder anders gesehen hat und damit auch die Welt um einen herum. Das sollte so sein. Eine “Gefahr” aber ist, zumindest hat man davor zwischenzeitlich Angst, dass man zu sehr im Nachdenken über das Gestern hängen bleibt, wenn man es eben auswertet und verarbeitet. Das gehört dazu. Aber gerade als Visionär ist man eben auch ein Mensch, der automatisch ein Stück weit in der Zukunft lebt, weil ihm immer Dinge auffallen, die man tun könnte, um sie anders und eben auf die ganz eigene Weise zu machen. Da schwingt automatisch immer „Zukunft“ mit. Und das darf man auch annehmen lernen in einer Gesellschaft, wo trotz aller klugen Sprüche und hippen Didaktikkonzepte zum “kritischen Denken” die meisten Leute einfach alles hinnehmen, wie es ist, und sich im besten Fall darüber beklagen, um im nächsten Moment den Kopf in den Sand zu stecken.

Mir geht es nicht darum, mich nun meinerseits darüber zu beklagen. Ich wünschte mir manchmal oder oft, mir würden viele Dinge einfach gar nicht auffallen, dann würden mir nicht sofort Ideen kommen, wie man sie ändern könnte. Aber genau das lerne ich gerade abzulegen — also nicht das Sehen und Denken, sondern das Abwerten dessen. Nur weil das den meisten Menschen nicht passt, weil es ihnen eben selbst nicht auffällt, heißt das nicht, dass ich daran etwas ändern sollte. Im Gegenteil, wann immer ich mich diesem Sog von vermeintlicher Harmonie und Gleichgültigkeit hingebe, verliere ich mich ein Stück mehr. Und Messner zeigt im ganzen Buch mit steigender Intensität, zumindest für mich als Leserin, dass das Sich-Verlieren etwas ist, dass man sich als Bergsteiger und Abenteurer nicht leisten kann, wenn man überleben will. Und zudem zeigte er mir erneut, dass mein Lebensziel ist, mich voll zu leben und darin “weise” zu werden (siehe dazu 1. Teil) — mit allen Ecken und Kanten und allen Extremen, die ich mir lange habe abtrainieren wollen, weil sie so vermeintlich „schädlich“ sind.

Extremsportler und Abenteurer und Grenzgänger sind in den Augen anderer immer extrem. Aber dieser blöde Rat, wonach allein „der Mittelweg glücklich macht“, ist eben einfach für manche Menschen nichts bzw. entspricht es nicht ihrem ICH. Dabei gibt es durchaus für jeden eine „Mitte“, aber die sieht eben für einige anders aus, besonders im Zeitverlauf. Auch ein Abenteurer ist nicht 365 Tage am Bergsteigen oder Wüste-Durchqueren. Auch er ist ein Mensch mit allen dazugehörigen Grenzen und solche Dinge gehen einfach physisch und psychisch gar nicht. Im Gegenteil, gerade ein Abenteurer (i.d.R. “introvertiert”) hat dann wieder Phasen, auch sehr lange, wo er ganz still und ruhig und nach außen hin „inaktiv“ ist, zumindest physisch. Das heißt, aufaddiert ergibt sich auch hier eine „Mitte“ aus Abenteuererfahrung (ungewöhnliche Aktivität) und “Ruhe” (ungewöhnliche Inaktivität, oft in Stille und Alleinsein). Aber dafür muss er eben, und zwar aus einem innerlichen Drang des sich Auslebens heraus, eine Herausforderung in einer bestimmten Zeit bewältigen. Und das genau sind dann die Dinge, die andere als „extrem“ oder „verrückt“ oder „sinnlos“ werten.

Sollen sie doch.

„Lasse red’n“

Wie das Lied der Ärzte sagt.

Und „extrem“ an sich ist nur ein Adjektiv.

Die Konnotation, den Klang, darf jeder selbst definieren.

Diese einleitenden Worte geben schon einen guten Einblick darin, wo ich gerade stehe. Wenn ich zurück schaue, und zwar ehrlich mit mir und ohne die ganzen Selbstlügen und Wertungen anderer, dann habe ich jedes Ziel „extrem“ erreicht, auf meine ganz eigene Weise. Ich wollte ja irgendwann immer „anders“ und „normal“, aber ich konnte es nicht, weil ich doch immer irgendwie ein bisschen ich selbst geblieben bin und meine Ziele anders gar nicht erreicht hätte. Damit meine ich, dass ich große Ziele (Qualifikationen, Projekte, Reisen, sportliche Herausforderungen) immer in sehr kurzer Zeit mit enormem Kraftaufwand bewältigt habe. Und dann kam wieder eine absolute Pause. Lange habe ich diese Pausen als „Abstürze“ gewertet. Das war aber zumeist darin begründet, dass ich immer dachte, das Erreichen der jeweiligen Ziele würde mich irgendwohin bringen. Das genau war der Denkfehler. Stattdessen waren diese Ziele und deren Erreichung wichtig für mich, weil ich darin aufgegangen bin und mich entwickelt habe. Aber danach sollten neue kommen. Und genau darin findet sich der Abenteurer wieder — er geht neue Dinge genau „einmal“ in genau dieser Form an. Daran wächst er und dann ist es nur logisch, dass das neue Ziel eben nicht das alte ist.

All diese Erkenntnisse gewinnt man aber nicht sofort. Und man gewinnt sie auch nicht im Gespräch mit tausend Leuten. Und man gewinnt sie auch nicht beim Lesen von schlauen Büchern oder Therapien. All diese Dinge sind natürlich irgendwie Inspiration und Reflexionshilfe. Aber in Wahrheit, da stimme ich insbesondere mit den Buddhisten und anderen spirituellen und monastischen Strömungen überein, gewinnt man wahre Selbsterkenntnis in der Stille. Und die wirkliche Stille braucht Einsamkeit — Alleinsein im positivsten aller Sinne. Nur in der tiefen inneren Stille warten die Selbsterkenntnisse, die dann auch die nächsten Schritte erspüren lassen — das nächste Abenteuer. Davor aber gilt es, sich anzunehmen und zu schätzen, in seinem ganzen „extremen“ Grenzgängertum.

„Beim Alleinsein merkst Du, wie Du Dich liebst. Die Einsamkeit ist der klarste Spiegel.“ (Messner 178)

  1. Selbstverständnis
Messner 121

Diese Passage war ein Aha-Erlebnis in meinem Prozess der Selbstkenntnis. Es stimmt. Ich glaube, Grenzgänger tun die Dinge, die sie tun, in der Weise genau EINMAL im Leben. Das, was andere fürchten, sich etwas Fremdem nähern und jeden Schritt auf dünnem Eis laufen, ist für sie wiederum die Nahrung. Und das erklärt auch, warum sie das machen, auch wenn das „warum“ beim Tun selbst keine Rolle mehr spielt. Ich jedenfalls glaube für mich, dass wir das Abenteuer und den Grenzgang unternehmen, weil wir wissen, dass wir uns dadurch besser, im Sinne von mehr, verstehen werden. Und dieses Selbstverständnis macht immer ein Stück weiser und glücklicher und ruhiger. Und es lässt einen wieder zu neuen Dingen aufbrechen. Denn der Abenteurer steht nicht still, auch wenn er irgendwann physisch kürzer treten muss. Der Geist wird stärker.

Dieses „So-Sein“ und „Messner-Sein“ ist wunderbar motivierend und ansteckend im Buch. Natürlich kann ich mir vorstellen, wie viele Menschen auf der Welt es geben wird, die unter diesem „So-Sein“ von Messner gelitten haben oder noch leiden. Und den Unterschied macht letztlich nur das Bewusstsein aus. Messner weiß darum und er spricht es aus. Das bedeutet nicht, dass er sich gar nicht hinterfragt. Aber in Bezug auf seine Abenteuer weiß er, dass er sich in manchen Dingen nicht verändern und nicht bis an die Grenze seines Seins hinterfragen darf — sonst könnte er seine Grenzgänge nicht mehr unternehmen. Und sie gehören zu ihm und die Erfolge, im Sinne von „das Erfahrene“, sind der Beweis des Lebens, dass das so vom Universum oder Gott oder wem auch immer gewünscht ist.

Ich bin es gerade im Kontext von Religion und Kirche (von der ich mich trotz Theologiestudiums weitestgehend fernhalte) leid, dass man immer von Individualität und Angenommensein im Anderssein spricht, es die Menschen darin aber so wirklich nicht leben. Und jetzt kann man wieder argumentieren, dass das alles vom Betrachter abhängt und jeder eben so ist, wie er ist, und gar nicht „anders“ sein muss im Außen, um eben einzigartig zu sein. Ja, ja, das sehe und verstehe ich alles. Trotzdem herrscht in jedem Kollektiv ein Stillschweigen darüber, was man eben glauben sollte und wie man sich eben zu verhalten habe, z.B. als „Christ“. Das spiegeln wir allein durch unseren Umgang mit diesen Menschen. Und damit schon sind alle Mauern gebaut, die einem Grenzgänger und Freigeist die Luft zum Atmen nehmen, auch wenn er das bewusst vielleicht gar nicht erst spürt. Ich denke, ein Messner spürt es schnell. Und dafür braucht es Selbsterkenntnis und Selbstverständnis, um eben zu fühlen und zuzulassen, was dem eigenen Wesen entspricht. Und sich eben auch von Menschen oder gar Gruppen zu trennen, die das eigene So-Sein, auch völlig ungewollt und ohne böse Absicht, anzapfen.

2. Halbnomade

Messner 203

Ich hatte schon einmal darüber geschrieben, wie mir eine liebe Freundin in den USA mal den Satz an den Kopf warf „you are a nomad“. Sie hatte mich damals (2008) schon besser verstanden als ich mich selbst. Andererseits durfte dieser Satz nicht zum Glaubenssatz werden, so dass ich ihn als Fluch verstanden hätte, der mich für immer von der „Sesshaftigkeit“ abhält. Aber Halbnomade trifft es schon eher. Und das Nomadentum ist natürlich etwas, das sich durch Messners Buch zieht. Es ist die Antidote zum „bürgerlichen Leben“. Auch das ist so ein Konzept, mit dem ich in Worten überhaupt nichts anfangen kann für mein Leben. Indirekt und unbewusst aber habe wohl auch ich länger danach gestrebt und mir so in einem selbst gebauten gedanklichen Gefängnis die mir eigene Zukunft versperrt — zumindest phasenweise.

Man könnte sagen, dass das alles „Gedanken“ sind. Und würde ich mir nicht so viele Gedanken machen, hätte ich mehr Zeit zum Tun. Und das Tun geht allem Denken und Schreiben voraus, da hat Messner (mit Goethe) recht. Und genau deshalb glaube ich auch nicht, dass ich zu wenig tue und zu viel schreibe oder denke — beides ist auch Tun... Im Gegenteil, es braucht diese tiefen Reflexionen zwischendurch, die kleine Taten begleiten und dann wieder große Schritte anstoßen. Auch sind sie die Voraussetzung, um Altes loszulassen. Und das ist, wie ich bereits vielfach beschrieben habe, der wichtigste Schritt zum Weitermachen. Das Erfahrene wird immer Teil des eigenen Weges bleiben. Aber mein Leben hätte ich nicht gelebt, wenn ich nicht weitere Erfahrungen machen wollte. Welche genau das sind, kann ich nicht durch Vergleiche im Außen heraus finden. Immer, wenn ich das getan habe, wurden es keine leidenschaftlichen Erfahrungen, aus denen ich natürlich auch lernen sollte. Der Weg kann nur mit dem Herzen und damit auch aus der Stille heraus angezeigt werden.

Der einzige übergeordnete Nenner für alle neuen Herzensabenteuer ist das „Aufbrechen“, das Messner auch beschreibt. Das kenne ich und ich fühle mich dann lebendig. Schon oft habe ich ja den Moment beschrieben, wenn ich im Flugzeug sitze und es abhebt in ein Land, das ich noch nicht kenne. Dieser Moment und die ersten Schritte auf neuem Boden, werden für mich immer etwas so tief Lebendiges, etwas Magisches haben, das mich überwältigt. Ich fühle mich dann ganz ich, ganz ohne Ego, ganz ohne Vergangenheit und Zukunft, tief bewusst und im Jetzt. Es sind die schönsten Momente meines Lebens. Und das Einzige, was ich bereuen würde, wäre, mir diese Momente aus irgendwelchen Gründen selbst vorenthalten zu haben oder sie mir selbst mies gedacht und schlecht geredet zu haben als etwas Unnatürliches oder Krankes oder eben zu Extremes.

Es ist an mir,

mein Leben zu leben.

Als Abenteurerin

Als Grenzgängerin

Als liebender und schreibender Mensch.

3. Leadership

Messner 229

Am Ende des Buches geht Messner explizit auf das Thema Leadership ein, auch wenn es, so würde ich sagen, implizit ein roter Faden durch das Buch ist. Das mag man aus der klassischen Management-Perspektive nicht so verstehen, aber von der grenzt sich auch Messner ab, da es nicht seiner Erfahrung entspricht. Ich würde jedenfalls sagen, dass ein Abenteurer IMMER auch ein LEADER ist (auch wenn er in einer Expeditionsgruppe nicht immer diese Rolle hat), weil er nämlich das hat, das man für Leadership braucht: Selbstverständnis und Selbstvertrauen, das er ausstrahlt. Diese beiden Dinge sind, neben dem, was Messner weiter unten auf der Seite schreibt, essenziell.

Wie essenziell sie sind, dämmert mir erst langsam. Ich denke, glaube ich, schon von Kindheit an darüber nach, warum manche Menschen „Erfolg“ haben und manche nicht. Damit meine ich gar nicht Geld oder Posten, aber auch das kann dazugehören. Ich meine im Wesentlichen — herausragende Dinge tun. Es kann nicht an Intelligenz, Umständen, Wille, Bildung, Glück, etc. allein liegen. Natürlich liegt es einerseits an unserem Seelenweg — daran glaube ich. Der ist einzigartig auf eine bestimmte Weise angelegt. Aber der gibt nur einen Rahmen. Innerhalb dieses Rahmens haben wir Gestaltungsfreiheit. Und ich denke, darin spielt eben das Thema Selbstwert und schließlich Selbstliebe die entscheidende Rolle.

Das scheinen alles banale esoterische Erkenntnisse zu sein, aber wenn man sie tief sacken lässt und wirklich erfährt, dann wird einem die Dimension klar. Und es ändert den ganzen Blickwinkel. Ich sehe so viele Menschen um mich herum, die vielleicht vermeintlich „kleine Jobs“ haben. Ich spüre aber, was sie alles bewegen könnten, wenn sie einfach nur das Vertrauen in sich hätten und die Selbstliebe, die dann Selbstwert und selbstbewusste Ausstrahlung bringen. Natürlich sieht man das immer „besser“ bei anderem als bei einem selbst. Trotzdem kann ich nicht umhin, es zu sehen und teils auch zu sagen. Ich finde, es ist wichtig, den Menschen zu sagen, gerade Kindern, was man in ihnen sieht, sofern man es wirklich sieht. Es ist wirklich fast alles möglich, wenn man erst mal erkennt, dass man das kann, wovon man vielleicht träumt. Und andere Menschen, die einem helfen, das zu erkennen, sind ein Segen.

“If you can dream it, you can do it…” — Walt Disney

Messner sagt, aus meiner Sicht richtig, dass sich ein echter Abenteurer nur zutraut, was er auch kann. Und ich stimme überein, dass einige Menschen von der Veranlagung her und dann auf Basis ihrer Erfahrung Leader sind. Sie können irgendwann gar nicht mehr anders, da sie es ausstrahlen. Und sie kommen auch kaum aus der Rolle heraus, weil andere sie so wahrnehmen und ihnen „folgen“, ganz automatisch — intuitiv. Damit meine ich eben keine autoritären Mini-Hitlers, das macht Messner auch ganz deutlich. Hier geht es um etwas ganz anderes — hier geht um Charisma, um Vertrauen, um Klarheit. Teils ist all das schon im Menschen angelegt. Teils erarbeitet er es sich eben selbst , genau aus dieser Veranlagung heraus — indem er durch den ganzen Schmerz des sich Kennenlernens und sich Annehmens geht. Das geht in der Einsamkeit des Abenteuers, beim Klettern am Abgrund, beim Gang durch die Wüste, am besten.

Genau deshalb sind eben alle Trockenübungen bei Seminaren und Coachings nur ein erster Schritt oder ein Zwischenschritt, um dahin zu kommen. Eigentlich müsste man als Coach und Coachee und potenzieller Leader nur dafür beten, dass einem das Leben eine solche Herausforderung der schmerzvollen oder zumindest herausfordernden Art vor die Füße wirft, dass man all das live und in Farbe im Leben durchmachen darf. Dann gewinnt man automatisch Leadership-Kompetenz, weil man alle Fesseln abstreift — weil man zwangsläufig aufhört, nach dem Kompass anderer zu leben. Denn wie beim Abenteuer ist auch beim krassen Schicksalsschlag eines klar: Es geht ums Überleben. Und genau an dieser Grenze zwischen Leben und Tod wächst der Grenzgänger über sich hinaus und nimmt manchmal andere mit zu einer neuen Stufe des (Selbst-)Bewusstseins.

Der letzte Satz unten auf der Seite hat mich in diesem Kontext noch nachdenken lassen: „die Chance, es zu zeigen“ Das stimmt. Als Abenteurer schenkt man sich die Chance aus eigenem Antrieb, aber sie bleibt auch ein Stück weit artifiziell, da selbst kreiert. Ansonsten muss man darauf vertrauen, dass einem das Leben diese Chance schenkt, in welcher ungeahnten Form auch immer. Ich glaube daran, dass die meisten großen „Leader“ durch genau diese vermeintlichen Zufälle ihre Chance bekommen haben, genau das zu zeigen, was in ihnen steckt. Ich selbst glaube, dass man kleine Chancen auch täglich geschenkt bekommt, ohne sie vielleicht als solche zu erkennen. Und irgendwie bereiten die einen dann auf den Moment vor, wo man wirklich „gefragt“ ist, sich als Leader zu „beweisen“.

Messners Buch war ein Geschenk des Lebens für mich an dieser Stelle.

Es hat mich mehr gelehrt und mehr in Gang gesetzt als so manche Bibellektüre.

Doch Bücher sind und bleiben „nur“ Bücher.

Sie beschreiben die Erfahrungen anderer.

Es ist an uns, die eigenen Bücher des Lebens zu schreiben –

im Handeln.

Reflexionsfragen

1) Was verstehst Du unter einem „Grenzgänger“? Bist Du eine/r? In welcher Beziehung würdest Du vielleicht gerne eine/r sein?

2) Stelle Dir vor, ein Dir nahestehender Mensch wäre ein „Halbnomade“. Du liebst diesen Menschen inniglich. Wie gehst Du mit der Tatsache um, dass dieser Mensch immer wieder „weg“ muss, zumindest für eine Zeit, und damit auch weg von Dir?

3) Was sagst Du zum Thema Leadership als „Veranlagung“ abseits aller Studien zum Thema? Was ist Dein Bauchgefühl? Welche Führungspersönlichkeiten waren in Deinem Leben entscheidend?

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