# 456: BOOK OF THE WEEK — “Dietrich Bonhoeffer: Sei frei und handle”
Geschichte hinter der Buchauswahl
Auch dieses Buch war in meinem Australiengepäck. Alois Prinz schreibt exzellente Biographien (siehe z.B. meine Gedanken zu Teresa von Avila). Doch ich hätte dieses Buch wahrscheinlich auch gekauft, wäre sie nicht von ihm gewesen. Allein der Titel hat mich gepackt. Vor einigen Wochen hatte ich mich noch verloren und hätte wahrscheinlich nicht sagen können, warum genau es mich angesprochen hat. Ich hätte gesagt, dass ich mehr über Bonhoeffer lernen will, was ja auch stimmt. Aber was mich wirklich getriggert hat, war das Wort „Freiheit“: Ja, Glaube, ich würde sagen Spiritualität, ist der Weg in die Freiheit. Wer diese absolute Freiheit einmal gekostet hat, der will sie nie wieder hergeben.
Leider spielt uns das Leben manchmal Streiche und führt uns wieder weg von uns selbst — unserer inneren Freiheit.
Das Christentum ist dabei leider nicht immer eine große Hilfe.
Auch Bonhoeffers Geschichte ist dahingehend zwiespältig.
Um es zusammen zu fassen: Dieses Buch hat mir so sehr geholfen, mich wieder zu finden, denn es hat mir gezeigt, wie ich mein Leben nicht gestalten möchte und kann. Ich kann es nicht, denn wenn man aus dem Inneren handelt, aus dem Herzen, dann kann man nur Dinge tun, an die man wirklich „glaubt“ und die einem guttun. Und dieses Gefühl muss man erst mal wieder entwickeln, wenn man es verloren hat inmitten des Stroms von Ego-Attacken, die einem täglich von der Außenwelt begegnen. Ich will keine Märtyrerin sein, die zu früh stirbt, um der Welt zu zeigen, dass sie kämpfen kann. Ich will keine ungeliebte und lieblose Frau sein. Und ich will auch nicht einem „Gott“ ausgeliefert sein, der mit mir Puppentheater spielt.
Warum weiß ich, dass dieses Wollen in Erfüllung gehen kann?
Weil ich es schon gelebt und erfahren habe.
Und weil das Leben zu kurz ist, um die Zeit mit Zweifeln und Denken und zu verbringen — wo es nicht gerade wirklich gefragt ist.
- Entscheidungen
Bonhoeffer wird als zielstrebiger und zweifelnder Intellektueller beschrieben, der mit der Zeit seine Innerlichkeit entdeckte, zuließ. In solchen Zeilen hier wird das deutlich. Er haderte von Beginn an mit der „Kirche“, bereits vor dem Ausbruch des Nazitums, das ihn schließlich umgebracht hat. Passagen wie diese zeigen diesen Kampf um einen Glauben, der nicht nur aus dem Lehrbuch kommt, sondern Liebe ganz praktisch „anwendbar“ macht; in guten Entscheidungen, die Handlungen zur Folge haben.
Trotzdem war Bonhoeffer an dieser Stelle noch nicht so weit, wie er vielleicht sein wollte. Er war getrieben vom Denken. Er kannte die „wahre“ Liebe noch nicht. Er hat sie noch nicht gespürt, auch wenn er wusste, dass die konventionelle Theologieausbildung wenig mit Spiritualität zu tun hatte. Dem ist er mit entschlossenem Handeln gegenüber getreten und hat dafür gesagt, dass auch mitten im Widerstand junge Theolog/innen Glauben auch praktisch einübten. Trotzdem konnte er nicht aus seiner Haut. Er war stets getrieben von Ansprüchen anderer und vor allem seinen eigenen. Ja, er wollte Gottes Stimme hören und danach handeln. Und doch war er zerrissen und ständig in Angst, das Falsche zu tun.
Das ist die Kehrseite des Christentums. Egal, wie oft man predigt, dass Christus befreit, so ist es eben doch nur ein „Gedanke“, keine Erfahrung. Die Erfahrung macht man, wenn man wirklich bereit dazu ist und alles loslässt. Und damit ist (leider) auch verbunden, die Dogmen über Bord zu werfen, die zweifelsfrei mit dem Christenum einher gehen, wie mit jeder anderen Kirche auch. Damit meine ich nicht, dass die Gedanken darin „falsch“ sind. Jeder Erwachte kann plötzlich „verstehen“, was da in der Bibel steht und wer Jesus war. Doch als Institution ist die Kirche eben darauf angewiesen, eine Lehre zu predigen, die als Grundlage der Einheit steht. Genau deshalb heißt Erwachen auch nicht gleich Kircheneintritt.
Bonhoeffer begann sein Leben und Wirken im Kopf, in der Universität, in der Theorie. Zunehmend ließ er dem Gefühl Raum, dass das für ihn nichts brachte. Er befreite sich ein Stück weit aus dem Korsett. Aber ich würde angesichts der Biographie behaupten, er schaffte das nie so ganz. Und trotz allem Wollen bleiben die Fakten. Ein Mensch ist zu früh gestorben. Er hat sich um das Glück gebracht und die Liebe seines Lebens dazu. Das sind die Fakten, egal, wie schön es ist, solche Bücher über berühmte Menschen zu lesen. Bonhoeffer war ein Mensch. Er ist gestorben aus dem Glauben heraus. Damit war er Vorbild für viele — Vorbild für Protest, Gegenwehr, Kampf gegen die Unmenschlichkeit. Er hat sein Glück geopfert für die Welt.
Ist das Gottes Wille?
2. Ehrgeiz
Dieses Buch war wie eine Reise in meine Vergangenheit. Ja, ich war das auch mal. Ich war auch mal ein Bonhoeffer, vielleicht nicht ganz so schlimm, vielleicht sogar schlimmer. Ehre und Geiz — das ist eine tödliche Mischung. Mich hat sie auch mal fast umgebracht. Das hat mich nicht bremsen können, mich wieder selbst zu quälen über mehr als ein Jahr; mich sogar demütigen zu lassen, um es endlich zu verstehen. Und immer dann ging ich auch wieder mehr in die Kirche. Ich brauchte immer mehr Halt im Außen weil innen nichts mehr war. Damit ging das Glück in mir immer mehr verloren, die Freiheit, die mir das Universum mal geschenkt hatte.
Ich bereue das nicht.
Bin dankbar dafür.
Bin gerührt und innerlich erwärmt von dem Geschenk des Leidens,
das uns dann das Licht wieder sehen lässt,
das Leben wieder wollen lässt.
3. Das Recht auf Glück
Ich habe den größten Teil des Buches im Flugzeug gelesen. Als diese Seite dran war, habe ich geheult wie ein Schlosshund. Das war sehr schön. Ich heule ohnehin viel im Flugzeug, genauso wie ich viel lache. Das hat damit zu tun, dass ich auf langen Flügen viele Filme schaue, die mich in der Regel sehr berühren. In diesem Fall gibt es eine Verbindung zwischen den Filmen und der Seite im Buch, da in beiden Fällen das „Recht auf Glück“ auftaucht. Genau das ist es. Das war mir bereits auf der Reise schlagartig klar geworden und nun kam es noch mal mit geballter Kraft zu mir. Ich hatte mir über lange Zeit wieder das Recht auf Glück versagt — mein eigenes ganz individuelles Glück.
Ich darf glücklich sein.
Und wenn Gott eines will,
dann ist es das.
Das war plötzlich wieder ganz klar zu FÜHLEN.
Wie hatte ich das vergessen — verdrängen — können?
Auch Bonhoeffer hatte diese Einsicht — leider sehr spät, was eigentlich noch früh im Leben war. Und befördert wurde das maßgeblich von seiner Marie. Diese Zeilen sind so rührend, denn sie geben auch meinen Lebensweg wieder. Für mich waren mal Bücher und Denken und schlaues Reden alles. Dann fand ich mein inneres Glück und das Vorherige spielte alles plötzlich kaum eine Rolle mehr. Damit meine ich nicht, dass einen erst eine Liebe im Außen darauf bringen muss. Bei Bonhoeffer war das so. Aber nur, weil er bereit dafür war, weil er schon lange gespürt hatte, damit gerungen hatte, dass all die Bücher und die Theologie ihm nicht das gaben, was er suchte: Liebe.
Und Christus ist Mensch geworden.
Weil Menschen Menschen brauchen.
Und die Liebe wird von Mensch zu Mensch gelebt,
auch wenn sie von innen kommt,
von Gott oder dem Namen, den man selbst dafür findet.
Die Liebe kam schließlich in Bonhoeffers Leben und sie änderte alles. Doch er konnte sie nie leben. Die beiden sahen sich nur im Gefängnis unter Aufsicht. Sie küssten sich ab und an. Sie haben wahrscheinlich nie miteinander geschlafen. Nicht, dass miteinander ins Bett zu gehen einen Unterschied für die Liebe macht. Die kommt von innen. Aber schön wäre es schon für Bonhoeffer gewesen, dieses Glück erfahren zu dürfen. Wir sind Körper und Geist. Der Körper darf auch gestreichelt werden. Es sollte anders kommen für ihn. Er wurde umgebracht. Und am Ende bleibt die Frage — was hat Gott damit zu tun?
Diese Frage, die uns das Buch gibt, und auch das Leben, ist für jeden selbst zu beantworten. Das geht nur mit dem Herzen und das ist gar nicht so leicht, wenn man um jeden Preis Antworten finden will, die es ohnehin nicht gibt. Es gibt nur das gelebte Leben. Für mich selbst hat die Freiheit darin den höchsten Stellenwert. Zu dieser tiefen Erkenntnis, zu dieser Wahrheit, musste ich erst wieder nach langem Leidensweg gelangen. Jeder Tag war es wert, diesen Weg zu gehen — zu mir zurück. Ich musste wieder spüren lernen, was mir gut tut und was nicht. Ich musste wieder lernen, dass ich Liebe verdient habe, eben weil ich mich bereits selbst liebe. Nur dann wird auch menschliche Liebe und entschlossenes Handeln wieder in mein Leben kommen.
Ich danke Bonhoeffer für all das, was er für die Menschen getan hat.
Ich danke Prinz für dieses wunderbare Buch.
Und ich danke dem Leben, dass es mir diese Geschichte im richtigen Moment geschickt hat.
Reflexionsfragen
1) Stimmst Du zu, dass „falsche“ Entscheidungen, auch wenn sie aus dem Herzen kommen, besser sind als gar keine Entscheidungen über lange Strecken?
2) Warst Du mal von Ehrgeiz geplagt oder bist es noch? Bist Du stolz darauf? Was hat es mit Deinen Beziehungen gemacht oder macht es noch?
3) Kannst Du nachfühlen, was Bonhoeffer gemeint haben könnte, wenn er vom Auseinanderklaffen von Glauben und Handeln gesprochen hat? Verstehst Du, wie jemand, der so viele Bücher gelesen und Wissenschaft betrieben hat, die wahre Liebe erst durch einen Menschen erfahren kann, der dafür nicht viel übrig hat?