# 338: BOOK OF THE WEEK — “Teresa von Avila”
Geschichte hinter der Buchauswahl
Diese Biographie über Teresa von Avila ist sozusagen eine Biographie über die Biographie. Teresa selbst schrieb zu ihren Lebzeiten ihre Geschichte in La Vida auf. Prinz integriert Erkenntnisse aus dieser und weiteren Schriften in seine eigene historische Recherche. Diese Mischung erlaubt es, zwischen der Innen- und der Außenansicht eines faszinierenden Glaubenslebens hin- und her zu pendeln. Das Innen und das Außen sind auch zwei entscheidende Dimensionen, die nicht allein für das Leben der Teresa hochrelevant, wenn nicht sogar wegweisend, waren. Die vermeintliche Dichotomie, die keine zu sein braucht, sofern man sich „Techniken“ aneignet, um sie aufzulösen, wurde auch Kernbestandteil der Methodik, die Teresa entwickelte und verbreitete.
Dieses Buch und die darin enthaltene Geschichte von Teresa haben für mich hohen Wert, da Teresa mir sehr nahe ist. Wohlgemerkt, wir sprechen hier von einer Frau, die 1515 geboren wurde und äußerlich auf den ersten Blick so viel mit uns und unserer Zeit zu tun hat wie die berühmte Apfel mit der Birne. Glaubt man aber dem, was Marc Aurel fast 1.500 Jahre zuvor geschrieben hatte, wonach sich die wesentlichen Dinge des Lebens und der Gesellschaft eben überhaupt nicht, höchstens oberflächlich, ändern, so spielt es absolut keine Rolle, wann wer zu solch tiefen Einsichten gelangt. Sie behalten ihre Gültigkeit, sofern man die Wahrheit in ihnen erkennt bzw. offen ist, danach zu suchen.
Es mag vermessen oder verfehlt klingen, sich der Protagonistin einer Biographie „nah“ zu fühlen, ja, sich sogar mit ihr zu identifizieren. Beides sind starke Aussagen, die teils emotional, teils sozial motiviert sind und daher nichts mit der viel gepriesenen wissenschaftlichen oder journalistischen Distanz zu tun haben. Ich gebe diesen künstlichen Anschein der Objektivität zunehmend offener auf, da ich ihn nicht mehr erkennen kann — ja, noch nie erkannt habe. Es ist sicher ein Fehler, den Forscher mit dem Forschungsgegenstand unüberlegt gleich zu setzen und von einem auf das oder den anderen zu schließen. Es ist aber genauso ein Fehler, nicht beide in Bezug zueinander zu betrachten.
Ich habe mich, was Leser dieses Blogs wissen dürften, viel und oft mit der Frage auseinandergesetzt, inwiefern das, was man heute „identity politics“ nennt, noch mit Forschung zu tun hat oder gar zielführend ist, wenn es um den Umbau oder die Weiterentwicklung der Universität geht. Empirische Studien aus der Psychologie und Soziologie sehen ganz klar, dass gesellschaftliche Gruppierungen, die nur um sich selbst und die eigenen Partikularinteressen kreisen, auf dem absteigenden Ast sind, um es flapsig auszudrücken. Wohlgemerkt ist es nicht das eine, das zum anderen führt. Sondern das eine ist Ausdruck des Letzteren, also das “Um sich kreisen” Ausdruck oder gar Katalysator des Abstiegs. Besonders in Bezug auf die Rolle der Geisteswissenschaften habe ich diese Ansicht geteilt und vertrete sie weiter. Warum bleibe ich aber trotzdem dabei, dass der einzelne Forscher und sein Forschungsobjekt, im Falle der Biographieforschung ein Subjekt, untrennbar mit einander verbunden sind?
Ganz einfach: Ich habe noch keinen Fall erlebt, indem mir nicht Erkenntnisse begegnet sind, die Wissenschaftler vertreten und verkörpert haben, die sehr deutlich auf ihre Forschungs-”Subjekte” zurückgehen. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob diese „Ähnlichkeitssympathie“ (similarity attraction), die wir aus der Psychologie kennen, also die Tatsache, dass wir uns von Menschen angezogen fühlen, die so sind wie wir, eine Konsequenz des Lernens über diese anderen Persönlichkeiten ist oder Motivator, sich überhaupt mit ihnen zu beschäftigen. Letztlich wird es beides zusammen sein und womöglich keines von beidem. Was bleibt, ist der Eindruck, dass Forschende das, was sie erforschen, in einer Weise verinnerlichen, die sie prägt.
Wenn ich sage, dass ich mich Teresa nahe fühle, so bezieht sich dies sehr wohl auf den Verlauf ihrer Geschichte, ihre Erkenntnisse, aber auch auf die bloße Tatsache, dass sie nicht aus purem Glauben ins Kloster ging. Im Gegenteil: Es war ein pragmatischer Schritt, um sich vor Heirat, Kinderkriegen und/oder Armut zu retten. Ich habe oft scherzhaft gesagt, dass die Universität mein „Kloster“ ist, in genau dieser zwiespältigen Weise. Natürlich hat Teresa im Kloster all das gefunden, wofür Klöster im ursprünglichen Sinne stehen; darunter innere Einkehr, die täglichen Exerzitien und den unbedingten Glauben an Gott. All das fand und liebte sie schließlich im Kloster, trotzdem sie mit alledem Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, rang, da sie eben nicht aus Überzeugung gekommen war.
In ähnlicher Weise ist die Universität mein Kloster und die Professor mein Bischofsamt oder Nonnentum. Die Sphären sind unterschiedlich, aber die Analogie frappierend. Was ich zuvor nie gefunden hatte, war eine genaue Schilderung dieses Prozess der Rettung, des Kampfes, und schließlich des Erfolges, in vielerlei Hinsicht, und zwar in einem theologischen Zusammenhang. Das ist wichtig, denn ich bin heute überzeugter denn je, dass mein Kampf nicht im Wesentlichen nur ein Kampf mit den Inhalten und Strukturen der Universität ist und war, sondern vor allen Dingen ein Glaubenskampf, der sehr wenig bis überhaupt nichts mit der Universität zu tun hat. Und auch hier gibt es entscheidende Parallelen zu einigen der Werke, die mich in den letzten Wochen sehr beschäftigt haben.
Natürlich kennen wir diese Selbstbekenntnisse aus Autobiographien und Biographien über Autobiographisches nur in der Rückschau — nicht nur von Autoren heute, sondern auch die Rückschau der jeweiligen Person. D.h. zum Zeitpunkt des Aufschreibens hat die Erkenntnis, die dem schriftlichen Mitteilen vorweg geht, bereits stattgefunden. Trotzdem gibt es viele Parallelen bzw. Verbindungen zwischen einigen der Autoren, die ich in den letzten Wochen behandelt habe und mich daher auch viele Schritte zu den Erkenntnissen gebracht haben, die jetzt neue innere Türen aufgestoßen haben. Das verbindende Element ist in allen Fällen das Ringen mit dem Glauben und die Verbindung zur Frage des täglichen Wirkens; der Berufung, wenn man so will.
Im Falle von al-Ghazali, zu dessen Buch ich noch nicht geschrieben habe, aber mich auf ihn bezogen habe in meinem eigenen Selbstbekenntnis (# 318: Reentry from Error. Story behind the Passage | by Silke Schmidt | Aug, 2021 | Medium), stand die Einsicht, dass ihn Selbstsucht und das Ringen um Ansehen in der Wissenschaft haben erfolgreich sein lassen zu Beginn einer existenziellen Krise, die ihn hat nach Wahrheit im Glauben suchen lassen. Die Konsequenz daraus, die nach der Hinwendung zum Glauben als Erfahrung folgte, war eine Rückkehr zur ursprünglichen Tätigkeit in der Wissenschaft. Mit anderen Worten hat er also sich selbst verziehen, die zuvor aus seiner Sicht als „falsch“ identifizierten Motive zu verfolgen. Und gleichsam hat er außerhalb der Universität gefunden, was er zuvor innerhalb gesucht hatte — “Wahrheit”. Er hat seine eigenen Motive und Ziele demnach mit dem in Einklang gebracht, was aus seiner Sicht und Überzeugung Gottes Wille war. Jedenfalls ist dies meine oberflächliche Erklärung für das, was ihn hat an die Universität zurückkehren lassen.
Im Falle von Augustinus war es ebenfalls oder mehr noch ein Gefühl von Schuld und Reue, das ihn maßgeblich dazu angetrieben hat, weiter zu suchen. Mit der spirituellen Suche ging ebenfalls eine professionelle Suche einher. Und die Wenden seines Lebens, die ihm äußerlich aufgrund des Wechsels von der Rhetorik in die Philosophie und schließlich von der Philosophie und damit Wissenschaft in die Theologie und das Bischofsamt zugeschrieben werden, sind äußerlicher Ausdruck dieser inneren Suche. In seinem Fall stand am Ende also keine Rückkehr zum ursprünglichen Ausgangspunkt wie bei al-Ghazali, jedoch war es, dafür stehen Die Bekenntnisse, das Getriebensein durch Schuld. Und Schuld, das ist dem Glauben immanent, entsteht dort, wo der Glaubende der festen Überzeugung ist, dass sein Handeln nicht im Sinne des göttlichen Willens ist. Die Frage jedoch, die keiner von ihnen einfach zu beantworten wusste, zumindest nicht am Anfang der Wanderjahre, ist welches nun göttlicher Wille ist und welches menschliche Einbildung, und was es überhaupt bedeutet, „überzeugt“ zu sein.
Das führt uns nun endlich nach dieser langen aber nötigen Einleitung zwecks Einbettung meiner Gedanken zurück bzw. hin zu Teresa. Denn bei ihr ist ein faszinierender Umgang mit ihrem Ringen um den Glauben erkennbar, der von beiden zuvor genannten abweicht. Zunächst unterscheidet sie sich eindeutig von al-Ghazali und Augustinus aufgrund ihres Hintergrundes. Sie kam nicht aus einer wohlhabenden und gebildeten Familie. Mit anderen Worten: Der Verstand und das Rationale waren, egal wie intelligent und begabt sie bereits bei Eintritt ins Kloster gewesen sein möge, nicht so „ausgebildet“ wie es bei den anderen beiden der Fall gewesen war. Trotzdem war es ein überaus rationaler i.S.v. logischer Schritt, das Kloster als Rettung vor dem Lebensweg zu sehen, den sie bei ihrer Mutter und vielen anderen Frauen in der Gesellschaft damals gesehen hatte. Mal abgesehen davon, dass ihre Familie einen nicht gerade lupenreinen christlichen Hintergrund hatte.
Aus Perspektive von al-Ghazali und Augustinus hätte sie also allemal Grund gehabt, sich nachträglich mit der Schuld eines solch geradezu instrumentellen Umgangs mit Glaube und Berufung herum zu schlagen. Doch das tat sie nicht, zumindest nicht am Anfang. Stattdessen plagte sie sich zunächst weiter mit dem, was ihr das Klosterleben aufbürdete und was ihr eben, mangels ureigenen Glaubens, noch schwerer fiel als anderen. Dies alles wurde noch dadurch erschwert, dass sie als Persönlichkeit durchaus keine typisch demütige Frau war, die sich alles und jedem innerlich ergeben hat. Schließlich kehrte sie all das Leiden darin um, dass sie ihren eigenen Weg zum Glauben nicht nur fand, sondern erfuhr und ihn dann in einem wahren Startup Spirit auch in die Welt trug. Davon zeugt ihre Lebensgeschichte, aus der ich, wie immer an dieser Stelle, drei faszinierende Passagen herausheben möchte.
- Innere Ungebundenheit
Wenn ich oben von der Entwicklung einer „Methode“ spreche, so meine ich damit das, was Teresa selbst als „inneres Beten“ bezeichnet hat. Ein Highway direkt zu Gott sozusagen, nur dass diese Schnellstraße viel Übung und Erfahrung braucht und nicht wie ein schnelles Auto gekauft werden kann. Dieser mystische Zugang zum Erfahren von Gott hat schließlich das bewirkt, was das Lesen der Bibel oder theologische Studien nicht für Teresa vollbringen konnten. Im Gegenteil, all das brachte Qual und Leid, denn schließlich hatte sie dazu aufgrund ihres mangelnden zugrundeliegenden Glaubens wortwörtlich keinen Zugang. Nun aber stellte sich die Sache anders dar, denn man könnte argumentieren, ohne all dieses, auch physische Leid, hätte sie nicht eben jene Erfahrung gemacht, die sie schließlich zu dem brachte, was man wohl in der Theologie, Mystik nennt.
Teresas psychische Qualen brachten also, auch das ist heute nicht anders als damals, physische Qualen mit sich, die wiederum zu dem führten, was man heute als Nahtod bezeichnet. Auch wenn Prinz diesen Zusammenhang nicht so herstellt, ich stelle ihn her, indem ich in die Geschichte hineininterpretiere, dass diese Erfahrung mit eben jener ‘Einheitserfahrung’ einherging, die Teresa schließlich hat glauben lassen. Und ich nehme darüber hinaus an, dass das meiste von dem, was danach folgte, nicht ohne dieses Ereignis und den daraus resultierenden Glauben an die Existenz Gottes möglich gewesen wäre. Das führte dann wiederum zum Studium der Schriften und zum Schreiben selbst, aber, wenn man so will, eben im umgekehrten Sinne. Umgekehrt deshalb, weil gemeinhin im Christentum, so wie es heute noch praktiziert wird, das rational-intellektuelle Studium der Schrift über der Erfahrung und entsprechenden Techniken steht, die jene direkte Gotteserfahrung ermöglichen.
Nun aber endlich zum „Rebhuhn“. Das Rebhuhn oben steht für eine Geschichte um einen Asketen, die im engeren Sinne nichts mit Teresa zu tun hat, dem Autor jedoch als Analogie hilft. Es geht um einen Asketen, der in die Hallen eines reichen Menschen tritt. Und eben dieser Reiche hat die Erwartung, dass der materiell arme Gläubige sich sämtlicher irdischer Genüsse verschließt, um sich an seinen „Dogmen“ von Abstinenz und selbstauferlegtem Mangel zu hängen. Nur geht die Geschichte eben anders aus. Der Asket genießt sein luxuriöses Gästezimmer und auch das festliche Mahl. Nur, und das zeigt das Ende der Geschichte, hängt er nicht an diesen Gütern und schon gar nicht kommt er in Versuchung, sein “Ich” mit ihnen zu identifizieren (“Ichlosigkeit”). Er lässt los und zieht weiter. Es ist diese Aufgabe von „Anhaftung“, wie die Buddhisten sagen würden, welche dem Asketen im Gegensatz zu dem irdisch reichen Menschen, wahrlich innerliche Freiheit beschert.
Ich habe gezögert, ob ich diesen Abschnitt nun Freiheit oder Ungebundenheit nennen sollte und habe mich für Letzteres entschieden, da mir Freiheit, auch wenn es emotional das gleiche meinen möge, zu wenig treffend für diese Geschichte war. Letztlich geht es Teresa darum, dass nur der Glaube als Konstante hilft, sich von allen anderen äußeren Dingen und Gedanken, sowie Ideologien und Erwartungen an Rollenbilder, frei zu machen. Teresa tat dies, indem sie immer wieder den Spagat zwischen Klosterleben und Seelsorge, wie hier im Beispiel für eine trauergeplagte Edelfrau, einging. Später dann pendelte sie zwischen der inneren Einkehr in ihrem eigenen Kloster und der permanenten Gründungsaktivität weiterer Klöster, mit der allerhand irdische Managementpflichten verbunden waren.
Auf diese Balance zwischen (Nach-)Denken und Machen werde ich im letzten Abschnitt noch genauer eingehen. Hier geht es mir jedoch darum, heraus zu stellen, wie radikal und schwierig diese Form der Unabhängigkeit ist. Denn sie macht es dem Glaubenden nicht einfach, sich an irgendein Ideal oder gar christlich vorgefertigtes Bild zu haften und ihm nachzueifern. Vielmehr ist es ein radikaler Individualismus insofern als es darum geht, im Moment dem zu folgen, was der Moment hergibt. Auch hier findet sich wieder die Parallele im Buddhismus und “New Age” mit bekannten Mottos von: „Lebe den Moment” und “Loslassen”, etc. Das Rebhuhn kommt jetzt auf den Tisch und kann Freude bescheren, doch es sagt nichts über den, der es nun isst. Auch sagt es nichts darüber, was morgen auf den Tisch kommen muss, aufgrund irgendwelcher innerlicher oder äußerlicher Zwänge.
Es gibt im Buch noch viele Stellen, in denen Prinz auf die Entwicklung von Teresa hin zu einer wahrhaft von jeglichem vorgefertigten Gedankentum emanzipierten Frau beschreibt. All dies, und da sind wir zurück beim “inneren Beten”, war nur möglich, da ihr einziger Bezugspunkt die direkte Gotteserfahrung war. Und wie jeder ernsthaft und lange Meditierende ging sie davon aus, dass nur, wenn diese Beziehung besteht, sie wahrhaftig Gutes in der Welt bewirken kann und folglich auch das “Richtige” vom “Falschen” unterscheiden kann. Damit geht einher, dass Rebhuhn essen oder nicht essen eben nicht an sich richtig oder falsch für einen Asketen oder in Armut lebenden Gläubigen ist, so wie vieles andere in der Welt nicht per se falsch oder richtig ist. Nur die innere Beziehung zu Gott kann den Fragenden bzw. Handelnden bezüglich äußerlicher Anliegen leiten. Damit geht auch einher, dass die rein rationale Antwort eben keine Lösung ist, da sie ihren Bezug immer aus dem Außen, meist von anderen Menschen, nimmt.
Teresa hat diese Ungebundenheit von allem Äußerlichen konsequent ausgebaut und weitergegeben. Sämtliche Anhaftung an Dinge und sogar an Menschen hat sie abgelehnt. Sie wollte, das würde ich als pädagogischen Gedanken herausstellen, den Menschen, in ihrem Fall vor allen Dingen Nonnen und teils auch Mönche, zur inneren Stärke aus der Unabhängigkeit heraus ausbilden. Dies ist, und da stimme ich Prinz voll und ganz zu in seiner Feststellung, ein sehr politisches Element von Teresas Wirken, wobei ich hier jetzt nicht tiefer in die Frage einsteigen möchte, was nun politisch ist. Ein Zitat aus dem Buch beschreibt jedenfalls diesen Aspekt der gedanklichen und damit inneren Unabhängigkeit sehr schön und unterstreicht dabei gleichzeitig, dass mit der Hinwendung zum Glauben eben keine völlige Abkehr vom Verstand intendiert war.
“Diese Art von völliger Unterwerfung war nicht im Sinne Teresas. Befreiung vom Ich war für sie Befreiung von allem, was abhängig und unfrei macht: von Prestigedenken, von Standesdünkeln, von Titeln, vom Stammbaum, von der Ehre, von zugewiesenen Rollen, von verinnerlichten Konventionen. Diese <<schöne Ichlosigkeit>>, wie Dorothee Sölle sie nennt, darf nicht zur Verleugnung des Selbst führen. Im Gegenteil, im <<Ich-Sterben>> soll das Selbstbewusstsein gestärkt werden.“ (Prinz 144)
2. Zuneigung
Ich gebe zu, dies ist eine lange Passage, die sehr viele Aspekte aufgreift, über die es sich zu schreiben lohnt. Ich bilde sie trotzdem zusammenhängend und in der Dichte ab, da sie viel verrät über den Zusammenhang zwischen Unabhängigkeit, innerer Stärke, aber eben auch der Liebe den anderen gegenüber. Klar ist, dass Teresa, da unterscheidet sie sich von keinem anderen zeitgenössischen Gründer einer jeglichen Schule (falls es diese noch gibt), ihren Weg zu Gott lehrt und verbreitet. Dazu gehört eben auch, dass sie ihn sehr einsam und allein und gegen innere und äußere Widerstände gegangen ist. Vermeintlich hatte sie die Unterstützung der Klostergemeinschaft, doch mit ihrer Erkenntnis, dass sie Gemeinschaft und soziale Kontakte im Wesentlichen zur narzisstischen Selbstbestätigung brauchte, wurde ihr auch klar, dass diese Gemeinschaft keinen wesentlichen Beitrag zur Hinwendung zum inneren Beten gebracht hatte. Dies erklärt also zumindest einen Teilaspekt der Aussage zur Bewältigung des eigenen Weges.
Klar war für Teresa aber, dass es ohne die nötigen Voraussetzungen und das Umfeld, auch nicht geht. Heute würde man wohl von „Infrastruktur“ sprechen. Bedingungen also, die das Gelingen des Unterfangens vielleicht nicht unbedingt ermöglichen oder garantieren, aber zumindest erleichtern, sofern dies im Sinne des Individuums ist. Es ist also auch hier an der Wahlfreiheit des Menschen, nicht dogmatisch Regeln und Pflichten zu folgen, sondern die eigenen geistigen Bedürfnisse aufgrund der Reise ins eigene Innere zu identifizieren. Das an sich liest sich erschreckend aktuell in einer Zeit, wo genau dieser Kontakt mit dem Inneren vielen schwer zu fallen scheint. Und Teresa, das verdeutlichen diese Zeilen zum Thema „Stärken und Schwächen“, hat durchaus in ihrer Verantwortung sichergestellt, diesen Prozess der Einzelnen zu unterstützen, indem sie ganz genau die Bedürfnisse einer jeden Schwester wahrnahm.
Dies alles würde ich, daher die Unterüberschrift, am treffendsten mit dem Begriff der Zuneigung bezeichnen, so wie ihn auch Prinz verwendet. Zwar geht es im Weiteren auch um die „Liebe ohne Eigeninteresse“, aber Liebe ist ein Wort, das Teresa selbst vielleicht nur in Bezug auf Gott verwendet hätte, so jedenfalls lese ich es aus der Biographie heraus, ohne Kenntnis ihrer Originalaufzeichnungen. Zuneigung aber ist es, die sie selbst durchweg betrieben und gelehrt hat, aber eben keine übertriebene und damit falsche Überemotionalität einzelnen Dingen und Menschen gegenüber. Diese Passagen zu ihrer vehementen Unterbindung von Einzelfreundschaften oder gar “Liebeleien” sprechen Bände in Bezug auf die Tatsache, dass sie Frauen offensichtlich besonders „aufs Korn nahm.“
Zunächst finde ich den Ansatz, dass zu viel Zuneigung oder gar Liebe auf ein Objekt oder Subjekt gerichtet, nicht zielführend ist, aufgrund der Logik faszinierend. Mit anderen Worten ist emotionale Hinwendung ein Nullsummenspiel und dem Menschen auch nicht unendlich verfügbar, zumindest nicht zu einer Zeit an einem Ort. Für sie ist also Geben an der einen Stelle ein Nicht-Geben an anderer Stelle. Das hat etwas sehr Realistisches und keineswegs Übermenschliches. Zudem entspricht es dem, was den Menschen eben von Gott unterscheidet. Unser Tag hat 24 Stunden und unsere Arme können maximal einen Menschen ganz umfassen. Es ist uns nicht möglich, mit der gleichen Wirkung 1.000 Dinge auf einmal zu tun, so wie es uns auch nicht möglich ist, 100 Menschen mit genau der gleichen Wärme zu umarmen.
Sehr interessant ist aber weiterhin, was heutige Zeitgenossen wohl unter dem Label „Gender Studies“ laufen lassen würden und gleichzeitig in Stücke zerfetzen. Denn Teresa hatte offensichtlich einen „gender bias“. Ihr war klar, dass Frauen und Männer in sozialen Gefügen unterschiedliche Neigungen im Verhalten haben. Woher genau diese kommen, sei dahingestellt. Sie selbst jedenfalls, das wird in der frühen Geschichte deutlich, wusste sehr gut ihre weiblichen Stärken und Schwächen zu nutzen, um anderen zu gefallen. Später sah sie dies als Irrweg, trotzdem diente ihr die Erfahrung aber als Lehre und Aufruf zur Vorsicht ihren weiblichen Mitschwestern gegenüber. Genau dies ist der Grund, warum sie eben Liebeleien und Klüngeleien — das klassische Grüppchenbilden samt Klatsch und Tratsch — unter den Frauen unterbinden wollte, zumal sie sich auch zunehmend mit dem Seelenleben der Frauen beschäftigte, was nicht selten mit Depression (“Melancholie”) einher war.
Die Art und Weise, wie ich dies hier schildere, deckt meine Zustimmung auf. Ich teile die Beobachtungen Teresas und bin ihnen, zumindest über weite Strecken, bewusst entgegen getreten im professionellen Umfeld. Demgegenüber stand jedoch immer der Wunsch, genau eben jenen Frauen auch zu helfen. Das ist ein Dilemma, aus dem man nicht leicht herauskommt. Meine Antwort darauf ist jedoch die, die auch Teresa gefunden zu haben scheint: Vorreiterin und Vorbild sein mit dem eigenen Handeln. Teresa verhielt sich, besonders in ihrer Zeit, mehr oder weniger geschlechterneutral und wusste sehr gut, mit Männern zusammen zu arbeiten. Sie studierte deren Stärken sehr genau und nutzte eben genau die Balance.
Dies alles, um zurück auf den gewählten Begriff der Zuneigung zu kommen, würde ich genau als eben jene definieren. Ein echtes Interesse, den Menschen zu beobachten, zu verstehen, und ihm unterstützend aber ohne übertriebene und damit unvernünftige Emotionalität unter die Arme zu greifen, und ohne dabei von den eigenen gut reflektierten Prinzipien abzuweichen. Der Begriff der Zuwendung ist ein schöner, da er das richtige Maß an Natürlichem, an Nicht-Erklärbarem (Neigung) in sich trägt, aber eben auch etwas Richtung-Gebendes (Zu-), das vom Menschen selbst bestimmt wird. Und um Selbstbestimmung geht es auch im letzten Teil für heute.
3. Vita Activa
Es ist bezeichnend, dass eine Frau, die in verhältnismäßig jungen Jahren bereits um ein Haar lebendig begraben worden wäre, in verhältnismäßig hohem Alter, besonders für diese Zeit, so richtig Gas gab. Was der Autor hier mit der Beschreibung der „madre fundadora“ meint, könnte man heute genauso gut als „Startup Nonne“ bezeichnen. Dürfte ich aus den engen Fächergrenzen der heutigen Universität heraus, wäre das ein wunderbares Forschungsprojekt, da Teresa selbst ein eigenes Buch der Gründungen verfasste. Überall liest man in historischen Abhandlungen lediglich an der Oberfläche von „Klostergründungen“ und allerlei „administrativen Schwierigkeiten“, die damit verbunden waren. Tatsache jedoch ist, und das geht in mehr Details durchaus auch aus dem Buch von Prinz hervor, dass sich Nonnen und Mönche wie Teresa zu Entrepreneuren entwickelt haben, die wider sämtliche Hürden menschlicher, politischer und finanzieller Natur, „Niederlassungen“ im Akkord gegründet und teils in der Anfangsphase selbst gemanaged haben. Das ist gelungenes Unternehmertum vom Feinsten. Die Bezeichnung „Gründerin“ passt daher wie die Faust aufs Auge, stellt jedoch die meisten heutigen „Startup Gründer“ wahrlich in den Schatten angesichts der überwältigenden Ergebnisse, die Teresa binnen kürzester Zeit und mit steigendem Alter hervorbrachte.
Interessant wird dieser unternehmerische Aspekt besonders, als der Autor die Geschichte von Maria und Martha hinein bringt. Ich muss sagen, dass ich sehr schlucken musste, als ich das las. Denn in all meinen Kämpfen mit diesem Ying und Yang des Lebens, hatte ich nie an diese Geschichte gedacht, obwohl die Analogie sehr offensichtlich ist. Denn es ist mir selbst noch nicht gelungen, diese beiden Seiten in einer Rolle zu integrieren. Teresa jedoch schaffte dies, allerdings ging damit auch eine räumliche und soziale Trennung einher. Wenn sie betete und innere Einkehr betrieb, tat sie es im Inneren der Klostermauern. Wenn sie „draußen“ in der Welt den Hammer schwang, reiste, und um hohe Summen für Gründungen verhandelte, tat sie dies in Einheit mit ihrer kontemplativen Seite, jedoch voll und ganz im “realen Leben”. Sie hat also, wie es auch die Passage beschreibt, beides, die vita activa und contemplativa, in sich vereint und dies scheinbar ohne größere Zerreißproben.
Es gibt weitere Passagen zu diesem Thema, die jedoch zeigen, dass Teresa viel darüber nachgedacht hat und sich der Schwierigkeit des Unterfangens bewusst war. Denn nicht umsonst existieren Klöster eben aus einem Grund: zur Abschottung. Und wer in die Welt geht, der wird immer wieder mit alledem konfrontiert, das einen hinaus führt aus der Einheit, ob man es will oder nicht. Allein die Sprache zwingt uns dazu, Unterscheidungen da zu machen, wo sie natürlich nicht sind. Die folgenden Sätze zeigen, welch großes Bewusstsein und welche Anerkennung Teresa für den Brückenschlag zwischen der äußeren und der inneren Welt hatte, den geistliche “Anführer” vollbringen:
“Sie [Anführer] müssen unter den Menschen leben, mit ihnen verkehren, in den Palästen sein und sich äußerlich denen in den Palästen manchmal sogar anbequemen. Meint ihr, meine Töchter, es gehöre nur wenig dazu, mit der Welt zu verkehren, in der Welt zu leben, sich mit den Geschäften der Welt zu befassen und sich, wie ich gesagt habe, den Gepflogenheiten der Welt anzubequemen, innerlich aber der Welt fremd und Feind der Welt und wie einer zu sein, der die Verbannung lebt, kurz gesagt, nicht Mensch, sondern Engel zu sein?“ (Prinz 156)
Teresa verstand ihr “Geschäft” zunehmend müheloser und setzte noch eins drauf, indem sie sich die Freiheit nahm, ihre innere Erkenntnis der Wahrheit über die Welt auch zu teilen — und zwar so, wie ihr der Schnabel gewachsen war. Sie machte keinen Halt vor Autoritäten und/oder Adligen. Wer Unrecht tat und Dummheit beging, sollte dies auch ruhig erfahren — ohne Umschweife. Geholfen hat ihr dabei sicherlich auch ihr Humor, den sie nutzte, um z.B. Mitschwestern zu mehr unternehmerischem Mut und Optimismus zu verhelfen, d.h. die Mutige über die Introvertierte zu stellen, wie folgende Begebenheit bei Gründung eines neuen Klosters zeigt. Die Nonnen mussten notgedrungen in einer Bruchbude hausen und die Mitschwester Maria gehört eindeutig mehr zu den Ängstlichen und in gewisser Weise weniger Anpackenden, so dass der Name tatsächlich Programm ist. Teresa entgegnete dem mit Schlagfertigkeit und Humor:
„In ihrer Panik fragte sie Teresa, was diese tun würde, wenn sie, María, jetzt stürbe, worauf Teresa antwortete: >>Schwester, wenn es so weit ist, denke ich darüber nach, was zu tun ist, doch lassen Sie mich jetzt schlafen.<<“ (Prinz 167)
Diese Integration von Martha und Maria ist und bleibt Sinnbild für mein persönliches Ringen. Nicht zuletzt führt es dazu, dass sich Kräfte nicht entfalten können, wo sie vorhanden sind — und zwar im Übermaß. Die Antwort darauf ist, da schließt sich der Kreis, nur die Verbindung zum Glauben, der bewirkt, dass die Dinge fließen. Letztlich kann also auch der Verstand allein nicht das bewirken, was Martha und Maria, was Kontemplation und Machertum, in Einklang bringen. Es wird aber auch klar, und das ist letztlich meine größte Lektion von Teresa, dass ohne den Verstand keine Ziele ins Auge gefasst werden können. Und ohne Ziele, erreicht man auch keine. Teresa hatte ihre Ziele und sie hat sie durchgesetzt — mit allem, was ihr Gott bereitgestellt hat. Dafür war sie dankbar, hat es angenommen und in der Welt gewirkt. Teresa war, und davon können Gläubige und nicht-Gläubige lernen, das Paradebeispiel einer Gläubigen, die sämtlichen Stereotypen einer Heiligen widersprach. Und trotzdem oder gerade deshalb, ist sie ihren Weg gegangen.
Reflection Questions
1) Do you think it is ever possible to practice the same level of faith and spiritual devotion while living a normal “civilian” life?
2) How do you think about Teresa’s critical stance towards close female friendships and the formation of small groups?
3) Has it ever been difficult for you to either decide between or integrate the two elements of “vita activa” and the “vita contemplative”? What helped you achieve inner balance?