# 532: TEXT OF THE WEEK — “Die Apostelgeschichte“

Die Bibel: Einheitsübersetzung (2011). Die Apostelgeschichte, 1220–1255.

Geschichte hinter der Textauswahl

Die Apostelgeschichte ist morgen mein Prüfungsthema. Wer hätte das noch vor einigen Jahren gedacht? Da habe ich die Bibel allerhöchstens still und heimlich für mich gelesen — besonders in Momenten wenn es gar nichts anderes gab, was mir Halt gegeben hätte. Sind es genau diese Momente, die Menschen zum Glauben bringen? Ja, aber es gibt auch genau solche Momente, die sie vom Glauben wegbringen und Gott für ihr “Schicksal” verfluchen. Ich verstehe jede/n Einzelne/n, der mit Kirche nichts anfangen kann und mit menschgemachten Ritualen auch nichts. Trotzdem gehe ich diesen Weg, weil er meiner ist. Weil das Leben es so wollte. Weil es keinen anderen mehr gibt, wenn man alle anderen Umwege schon genommen hat.

Die Apostelgeschichte ist deshalb spannend, weil sie das einzige Dokument über die allerersten Ursprünge des „Christentums“ ist. Sie wurde eventuell sogar noch zu Lebzeiten des Paulus oder im 1. Jahrhundert n. Chr. Geschrieben. Die historischen Details interessieren mich aber viel weniger als so manchen anderen. Für mich sind darin Geschichten enthalten, die zeigen, wie Menschen umkehren — von jetzt auf gleich die Richtung ändern und sich auf das Ungewisse einlassen. Wir denken manchmal, das können wir nicht. Oder wir denken, wir machen das ständig, dabei belügen wir uns, da wir innerlich trotzdem an „Bekanntem“ festhalten.

Menschen, die gestern noch das eine gepredigt haben und morgen schon andere mit anderen Predigten bekehren, die gehen das Risiko ein, entweder als komplett lächerlich zu gelten oder als Lügner oder beides. Wie kann man seine innere Ausrichtung so komplett ändern? Menschen, die an Gott oder eine größere Kraft glauben, die in unser Leben gestaltend eingreift, die glauben meist, dass das möglich ist. Doch ich will das nicht darauf beschränken. Mir geht es nicht darum, Christen als die besseren Menschen hinzustellen. Mir geht es nur darum zu sagen, dass es einen großen Sprung ins Nichts braucht, wenn man sich wirklich wandeln will.

Ich habe lange geglaubt, dass das nicht möglich ist. Ich habe mir lange nicht zugetraut, dass all die Schuld und Scham, die ich durch meine Lebensgeschichte angesammelt habe, überhaupt noch veränderbar in etwas Gutes ist. Dabei ist das möglich, wenn man sich auf die Reise macht. Man braucht einen sehr langen Atem. Bei mir waren das 16 Jahre, in denen ich mit kleinen Höhenflügen zwischendrin auch immer wieder in den Abgrund gestürzt bin. Ich habe Gott und mir nicht wirklich vertraut. Doch es gibt auch immer kleine Lichtblicke und Menschen, die einem spiegeln, dass man vielleicht schon jemand anders ist als der sündige und kranke Mensch von gestern.

Demut ist ein Wort, das kann man gar nicht genug schätzen, sobald man es wirklich verstanden hat.

  1. Zeichen und Wunder
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Besonders Wunder wie Heilungen haben die Menschen damals davon überzeugt, dem neuen christlichen Weg zu folgen. Wunder sind Dinge, die wir mit dem Verstand nicht begründen können. Es sind Dinge, die passieren, obwohl wir sie vorher nicht für möglich gehalten haben. Und sie geschehen durch die Hand von Menschen wie hier den Aposteln, auch wenn der „Geist“, der dahinter wirkt, den Menschen übersteigt. Das Buch Ein Kurs in Wundern bezeichnet Wunder als eine plötzliche und totale Veränderung der Perspektive. Auch auf die Psychologie kann man das übertragen, denn gerade unser Denken bestimmt, wie wir die Welt wahrnehmen und genau das ist bei psychischer Erkrankung gestört.

Ich denke, wir alle können täglich Wunder im Leben beobachten, aber wir sind oft blind dafür. Wir machen uns selbst blind, weil wir die „bittere“ Wahrheit oft nicht hören wollen. Dabei befreit diese Wahrheit, sofern wir sie annehmen. Das ist hart, weil wir dann unser ganzes vorheriges Selbstbild, das wir uns oft mit viel Mühe aufgebaut haben, zerstören (lassen). Wenn man aber irgendwann jeden Egotrip ausprobiert hat und genug gegen jede Wand des Lebens gerannt ist, dann ist man so „gebrochen“ ohnehin, dass man sich dafür öffnet. Man weiß, es wird kein glückliches Leben geben, wenn man das nicht zulässt.

„There is a crack in everything.” — Leonard Cohen

Lasst uns diese Risse umarmen und sie uns komplett zerreißen lassen,

damit wir die Einzelteile dann neu zusammenfügen können.

Foto von Riho Kitagawa auf Unsplash

2. Verstehen

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Die Taufe des Äthiopiers finde ich deshalb so „schön“, weil es den umgekehrten Weg zeigt, den wir von Kirche sonst kennen. Da müssen die Gläubigen in die Kirche zum Pfarrer, um sich das Wort „auslegen“ zu lassen. Hier wird Philippus, weil er auf den Engel hört, zum Äthiopier geführt und hilft ihm, Jesaja zu verstehen. Dabei geht es nicht darum, den Lesenden zu bevormunden. Sehr „coachingorientiert“ wird der Äthiopier vorher gefragt, ob er versteht. Und erst auf die ausdrückliche Bitte hin, erklärt Philippus mehr vom Inhalt.

Ich denke, das ist ein schönes Beispiel dafür, wie es auch und gerade an uns liegt, Verständnis zu suchen und uns nicht zu scheuen, Hilfe anzunehmen. Es gilt aber besonders, der inneren Stimme immer wieder zu folgen — die innere Stimme, die einem sagt, dass es mehr gibt als das, was man schon sieht und weiß. Und auch, dass es andere Interpretationen gibt als jene, die einem spontan aufgrund der eigenen Weltsicht in den Sinn kommen. Und dann ergibt sich, wie die rasch folgende Taufe beim Äthiopier zeigt, alles wie von selbst und ohne Zweifel.

Ich habe auf meinem Weg oft Dinge bereut, von denen ich dachte, sie nur aus Gründen getan zu haben, die nicht von Liebe motiviert waren. Doch die Taufe in Jericho gehört definitiv nicht dazu. Und auch sonst macht alles eben einen Sinn, wenn man es annimmt, wie es eben geschehen ist. Man hat in keinem anderen Moment des Lebens die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, außer in dem jetzigen Moment. Und da kann man nur so gut entscheiden, wie man sich eben selbst vertraut. Wenn es da Schuld und Scham und die tiefe Angst gibt, dass man anderen nicht aus reinem Herzen etwas Gutes will, dann kann man nicht bewusst und frei entscheiden. Aber das heißt nicht, dass das immer so bleiben muss. Und die Taufe als Wiedergeburt ist ein Anfang…

3. Paulus

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Die Bekehrung des Saulus zum Paulus kommt in drei unterschiedlichen Fassungen in der Apostelgeschichte vor. Gerade in den letzten Tagen musste ich immer und immer wieder an Paulus denken, auch abseits der Apostelgeschichte. Seit meinen Glaubenswurzeln im Jahr 2011 kann ich nachvollziehen, was es bedeutet, Paulus zu werden. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass hier eigentlich ein „Mörder“ berufen wurde, der nichts anderes als Hetze und Verfolgung als seinen Lebensinhalt hatte zuvor. Doch er wird gedreht, er wird „sehend“ gemacht, nachdem er bewusst seine Blindheit „vor Augen geführt bekommt“ für einige Tage. Er muss noch mal ganz tief hinein in die Angst, die er anderen zuvor beschert hat.

Nur weil Saulus zum Paulus wurde, blieb seine Vergangenheit Teil seiner Lebensgeschichte. Aber sie bestimmte nicht seine Zukunft. Das dürfen wir hier verstehen und annehmen. Und er begegnet seiner eigenen Geschichte auch immer wieder. Er muss sich immer wieder rechtfertigen und verteidigen. Immer wieder haben Menschen Angst vor ihm, weil sie noch den Saulus in ihm erinnern. Doch er begegnet ihnen mit neuem reinen Herzen. Und das kann nicht lügen. Ein echtes liebendes Herz wird gespürt von anderen. Wir brauchen dafür keine Worte zu „verlieren“. Wir brauchen auch nichts besonderes tun. Wir müssen einfach nur: unsere gesammelte Lebensweisheit, unsere Lehren aus unseren Fehlern, unsere Scham über den Hochmut und alles andere, was da sein durfte, in Wahrheit und Demut leben.

Reflexionsfragen

1) Wann ist Dir zuletzt ein (kleines) Wunder passiert? Verändern solche Ereignisse Deine Weltsicht?

2) Was ist aus Deiner Sicht der Unterschied zwischen „Verständnis der Bibel wecken“ und „missionieren“? Findest Du, mehr Pfarrer/innen sollten aus den Kirchen raus und in die Gesellschaft hinein wirken und predigen?

3) Glaubst Du daran, dass sich Menschen vom „Saulus zum Paulus“ wandeln können? Hast Du es bereits an Dir erlebt?

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