# 531: BOOK OF THE WEEK — “Sei Dein eigenes Zuhause“

Schlenzig, Tim (2024). Sei Dein eigenes Zuhause.

Geschichte hinter der Buchauswahl

Dieses Buch hat mich zum Heulen gebracht. Nein, der Grund ist nicht, dass es so „schlecht“ ist und einem deshalb die Tränen in die Augen treibt. Ehrlich gesagt, hat ein Buch das bei mir noch nie geschafft, denn ein Buch kann gefallen oder nicht. Das Gute ist, man kann es zuklappen und wegstellen. Es fährt ja nicht plötzlich seine Krallen aus, umschlingt den Hals und schreit „lies mich fertig, auch wenn ich Dir keine Freude mache.“ Bei Tims Buch ist das ganz anders. Es zieht einen in den Bann — in die Tiefe der eigenen Abgründe, die eben keine sind — sondern Brunnen, wie Tim selbst an anderer Stelle in einem Gespräch über das Buch sagt.

Es ist schön, wenn man hemmungslos heulen kann beim Lesen und das Taschentuch bzw. zwei Blätter Klopapier in meinem Fall (siehe Foto unten) zum Lesezeichen werden. Ich habe sie eben noch auf meinem Tisch im Wohnzimmer auf dem Buch vorgefunden von gestern Abend, als ich den zweiten Teil las. Das ist kein Buch, das man mal eben so in der Bahn nebenbei lesen sollte. Natürlich kann man das machen und gerade als „Coach“ gibt es ja kein „sollen“, jeder kann und darf ja machen, was er/sie will. Aber in der Bahn oder sonstwo in der „Öffentlichkeit“ tun wir meist alles, um nicht laut schluchzend unseren Emotionen freien Lauf zu lassen. Zu Hause, beim Lesen mit sich allein — im „eigenen Zuhause“ — da kann man das. Und mir tut das gut.

Es ist schon komisch. Da erfindet die Welt alle möglichen Therapie- und Coachingformate, aber die therapeutische und motivierende Kraft von Büchern, die gerät irgendwie in Vergessenheit. Geschriebene Worte sind heute Content und kaum sind viele Worte in Form eines Buches geschrieben, gibt es die passende App, um sie dann wieder auf das „Wesentliche“ herunterzubrechen, damit der/die Leser/in sich ja nicht die Mühe machen muss, alles zu lesen.

Macht das Sinn?

Mir ist egal, ob es Sinn macht. Es gibt im Wesentlichen nur eines, was mir nicht egal ist: das Lesen, und speziell das Lesen von Büchern. Und damit verbunden sind auch die Menschen, die selbst lesen. Als Unternehmerin lernt man irgendwann etwas auf einem oft sehr leidvollen Weg: Was man anbietet, erreicht nicht „alle“ Menschen. Das würde man gern am Anfang so haben, denn dann hätte man mehr Kundschaft. Irgendwann, wenn man dann ein Stück weiter „zu sich“ gefunden hat, bei “sich zu Hause ist”, dann weiß man, dass man „alle“ gar nicht „haben“ will. Denn es gibt unter all diesen wunderbaren Menschlein auf diesem Planeten, die alle im Ursprung in sich besonders und liebenswert sind, eben auch einige, die uns selbst näher sind als andere. Das ist eben so. Das ist auch schön. Und in meinem Fall sind das eben Menschen, die Bücher lieben. Das ist der einzige gemeinsame Nenner, auf den ich meine schier grenzenlose innere Vielfalt herunterbrechen kann.

Gott sei Dank, konnte mir auch kein noch so düsterer Tag die Bücher nehmen und den Glauben daran, dass sie sie ein Geschenk sind — egal, wie viele Stimmen um mich herum mir das ausreden wollten. Irgendwie habe ich mein zu Hause in mir doch immer wie eine Schnecke mit mir herumgetragen und teilweise vergessen, dass es ganz nah ist und ich es nicht verlieren kann…

Bei diesem Buch war es genauso. Mich brachte das Buch zu einem Büchermenschen. Man muss wissen, dass nicht jeder Buchautor heutzutage auch ein Büchermensch ist. Es gibt viele, davon hatte ich Kunden, die schreiben ein Buch als reines Marketingtool. Wer sich ein bisschen auskennt, weiß, dass das eh nichts bringt am Ende, außer einen Haken auf der Lebens-To-Do Liste “Buch geschrieben” und vielleicht einen Ghostwriting-Auftrag. Aber auch das ist legitim. Ich habe davon auch mal gelebt. Ich weiß, wie schön das sein kann. Alles ist gut, sofern man davon leben kann und die eigene Stärke und Freude leben. Über den tieferen Sinn muss man sich nicht immer das Hirn zermartern. Wie Tim an einer anderen Stelle in einem Podcast sagt (aus meinem Gedächtnis zitiert): „Im Grunde ist alles besser als Denken“. Ich stimme da überein.

Auch Schreiben ist übrigens Denken, denn wir können nicht 100% fühlen und schreiben gleichzeitig. Ich würde aber sagen, dass dieses Buch dem sehr nahekommt, was ich „fühlendes Schreiben“ nenne. Das Genre dafür ist und war schon immer die Lyrik, weil unser Hirn sich da nicht um Punkt und Komma und Satzstellung kümmern muss, sondern einfach die Worte, die Essenz, auf das Blatt purzeln dürfen. Wenn wir irgendwann wirklich vor unseren letzten Atemzügen stehen, sofern wir dies bewusst tun, dann werden wir unsere Liebsten auch nicht mit langer Prosa in den „letzten Worten“ belästigen. Dafür bleibt dann gar keine Zeit und Kraft mehr und es kommt auf das Wesentliche an. Wenn dann darin das Wort „Liebe“ vorkommt, haben wir wahrscheinlich einen guten Trip in den Himmel vor uns.

Tim, das lernt jeder, der das Buch liest, hat schon viele Trips zwischen Himmel und Hölle gemacht. Ich gehe hier jetzt nicht auf myMONK ein und die wertvolle Lebenshilfe, die er Menschen seit vielen Jahren in Texten und per Podcast gibt. Tatsache ist, dass ich davon gar nicht viel weiß. Ich bleibe hier bei mir und damit bei dem, was aus dem Buch zu mir spricht. Und dahinter ist dieser wunderbare Mensch, mit dem ich über die Liebe zum Buch in Kontakt kommen durfte und der mir schließlich dieses Geschenk in den Briefkasten gezaubert hat. Man kann ja glauben an was man will, aber vom Leben Menschen geschenkt zu bekommen, die einem dann auch ihren Schatz, ihr Buch, schenken — das ist für mich “spirituell”. Da zeigt das Universum, dass man das anzieht, was man selbst ist und liebt.

Dafür lohnt es sich auch am nächsten Tag aufzustehen.

Man kann sich schon jetzt vorstellen, wie schwer es mir gefallen ist, hier drei Passagen auszuwählen. Fast jede Seite im Buch hat bei mir jetzt ein Eselsohr. Das ist hauptsächlich deshalb so, weil ich das Gefühl hatte, dass Tim mein Leben aufgeschrieben hat. Zwar lag mein Vater in einem Sarg und nicht in einer Urne, und ich werde sehr bald meinen Hund zum letzten Mal zum Tierarzt bringen und nicht meine Katze, und auch die vielen Menschen, die Tim loslassen musste, haben in meiner Geschichte teils gar keine Gesichter und keine Gräber mehr — so war es trotzdem wunderschön, in diesen Spiegel zu schauen und zu sehen, wie da einer auf SEINE WEISE das beschreibt, was in der Essenz in vielen von uns ist.

Und das ist unendlich schön und wird nie enden. Und es ist auch genau das, was viele nicht begriffen haben, die Bücher nur einfach als eine Sammlung von „Content“ bezeichnen, den heute auch AI auf Knopfdruck machen kann. Die menschliche Kreativität ist das EINZIGE, was niemals genommen werden kann. Das ist „göttlich“ im Sinne von — da passiert Magie, die man nicht erklären kann. Vor einigen Wochen habe ich, glaube ich, in meiner Besprechung von einem der Bücher von Alice Miller geschrieben, dass Kreativität das Resultat von Trauer ist. Daran glaube ich. Wenn man so viel Scheiße im Leben frisst und es schafft, weiter zu leben und dann dieses Weiterleben zur Ermutigung für andere macht, in dieser positiv leisen und ihm eigenen Art wie Tim, die kein bisschen „nur Tränendrüse“ ist, dann sieht man, wozu Menschen in der Lage sind — im positivsten Sinne des Wortes schöpferisch zu wirken. Das kann man nicht kopieren oder künstlich produzieren. Das ist einzigartig MENSCHLICH — so einzigartig wie der Autor und seine Zeilen.

Und dafür lohnt es sich fast, noch mehr Scheiße zu umarmen. Denn, da bin ich auch bei Tim, diese Tiefe, die dadurch entsteht, die ist so schön und rein und die nimmt einem keiner mehr. Damit hat man Gespräche, die fangen schon auf einem Level an, da kommen manche Bohrinseln im Atlantik nie runter. Und das Witzige ist, dass “wir”, die so viel fühlen und damit auch so viele Ängste haben, damit so mutig sind, wie viele andere nicht, die nie darüber nachdenken, dass ihr “Mut” die Tür zur Schönheit der Angst verschließt. Diese „Offenbarung“, die mit einem tiefen Gespräch kommt, ist Nahrung für die Seele. Es geht hier nicht darum, sich ständig „nackig“ zu machen mit Worten. Das meine ich nicht. Man muss diesen ganzen langen Weg mit sich selbst gegangen sein, um diese besonderen Worte zu finden, die Ausstrahlung zu haben und die Überzeugung zu gewinnen, dass man an der Oberfläche von Menschen und Themen nicht mehr kratzen will — dass man das nicht „verdient“ hat —

Weil man sich eben liebt

und annimmt,

was man wirklich braucht.

Nun höre ich auf mit einleitenden Worten, die wahrscheinlich schon den Hauptteil des Textes ausmachen. Ich merke, dass dieses lange Intro ein Zeichen dafür ist, dass ich hier nicht nur zu meinen imaginären Lesern und mir selbst, sondern auch zu Tim spreche. Da schleicht sich gleich die Angst ein, etwas zu schreiben, was fehlinterpretiert werden könnte. Aber das ist eben so. Wenn man so lange schreibt und auch damit öffentlich wird, dann weiß man, dass das ohnehin passiert und genau das Schöne an Büchern ist. Jeder sieht darin den Spiegel der eigenen Seele und was auch immer Tim und andere in meinen Worten sieht, habe ich nicht in der Hand — ich darf es “loslassen” und damit sein lassen. Was ich aber in der Hand habe, ist, diese Worte zu schreiben und damit der Welt ein Geschenk zu machen, weil ich es eben tun will — weil Bücher meine Lebensbegleiter und Leidenschaft und Liebe sind.

In meinem „eigenen“ zu Hause,

sind Bücher die Wände und der Boden.

Helfen mir zu atmen und zu stehen,

zeigen mir den Weg nach draußen,

und wieder zurück zu mir.

  1. Weg
Schlenzig 87

Liebe/r Leser/in,

ist Dir schon aufgefallen,

dass dieser Beitrag hier ein Teil Deines Weges ist?

Mir schon, ganz langsam.

Ist das nicht schön?

2. Heilung

Schlenzig 88

Hab es geschafft,

bin drüber hinweg,

die Sonne geht auf,

das Herz wird leicht,

im Kalender wieder Termine.

Schön. Für jetzt.

Genieße es.

Und denke nicht dran,

dass der Herbst wider kommt.

Er wird anders sein als die letzten,

der Winter vielleicht nicht so kalt.

Lass es sein, das Denken an Morgen.

Die Heilung von gestern,

gibt Dir Energie für heute.

Und wenn das Leben will,

überrascht es Dich mit Menschen,

die den Frühling zum Sommer machen.

3. Wachsen

Schlenzig 173

Hab schon lange keine Ziele mehr.

Ist das falsch?

Ist das “krank”?

Ein bisschen schon.

Wer krank ist aber weiß,

dass gesund sein DAS Ziel ist,

das alles übersteigt.

Jeden Tag ein bisschen leichter,

Mit jeder Träne, die gegangen ist.

Dein Buch und Dein Sein,

lassen mich nicht los.

Deine Worte werden mich tragen,

auf meinem eigenen Weg.

Hast mir gezeigt,

dass ich viel vorhabe,

mit mir und den Büchern,

mit den Menschen und dem Leben.

Mein Dank gilt Dir

Für Dein Pfadfindersein.

Hast Dich auf den Heimweg gemacht,

und die Kerze angezündet.

Dein eigenes Heim gefunden,

und es schön warm gemacht.

Niemand kann Dir da weh tun,

wo Ängste einfach “da sein” dürfen.

Bei mir ist es noch kalt und steinig,

aber das Vorhaben trägt mich wieder.

Glaube bedeutet nicht,

alles kommen zu lassen.

Aber offen zu sein,

für die Zuversicht,

dass das eigene Handeln,

aus dem eigenen Schmerz,

das Schönste ist,

was wir geben können.

Es braucht kein Dach da draußen,

wenn es Menschen gibt,

die Mauern einreißen

und Kamine entfachen –

in den Herzen nämlich,

wo die Liebe wohnt.

Mein Herzensdank gilt TS für Deinen Mut, Deine Freude, Deine Neugier, Deinen Geist und Dein Sein in der Welt.

Reflexionfragen

1) Vergegenwärtige Dir noch einmal die „schlimmsten“ Zeiten Deines bisherigen Lebensweges bis heute. Wer wärst Du heute, wenn Du damals „stehen geblieben“ wärst? Wem kannst Du heute mit Deinem ureigenen Weg etwas mitgeben?

2) Glaubst Du daran, dass Heilungsschritte auch „spontan“ passieren können — ohne lange “Arbeit” und Therapie? Wenn ja, wie erklärst Du das? Wenn nein, was hast Du in Deinem Leben getan, um gesünder zu werden (psychisch oder physisch)? Welcher 1. Schritt hat das ausgelöst?

3) Was hast Du vor in Deinem Leben, damit Du es nicht am Ende bereust, nicht getan zu haben? Was spricht dagegen, einen kleinen Schritt (egal was), schon heute in diese Richtung zu tun? Welcher genau könnte das sein?

--

--