# 526: Was Gott mit Coaching und der Uni zu tun hat

Foto von Eric Prouzet auf Unsplash, bearbeitet von Silke Schmidt

Dieser Text nimmt auf WhatsApp seinen Ausgang. Genauer gesagt erhielt ich eine Nachricht von einer Coachee, die wissen wollte, ob mir ihr CV weitergeholfen habe bei der Planung eines Veranstaltungsformates. Ich habe ihr nur kurz geantwortet, dass es das getan hat. Die lange Antwort gebe ich nun hier in diesem Text. Kurz gefasst: Für das Veranstaltungsformat hat es mir nicht weitergeholfen, denn das Format wird es nicht geben — zumindest nicht unter meiner „Leitung“. Warum? Weil ich damit keinem einen Gefallen tun würde — weder den potenziellen Job-Kandidat/innen aus den Geisteswissenschaften, noch mir selbst. Warum hat es trotzdem geholfen? Weil der CV ein wichtiger Puzzlestein auf meinem eigenen Weg und für die folgenden Einsichten war.

Frau Dr. ALG 1

Es gibt in Deutschland sehr viele sehr gut ausgebildete Frauen und Männer aus den Geisteswissenschaften (damit meine ich vornehmlich die Literatur- und Kulturwissenschaften, ebenso Theologie), die wirklich etwas „drauf“ haben. Sie wären ein Geschenk für das Land, wenn sie ihre Gaben einbringen dürften. Aber man lässt sie oft nicht. Der Grund der Absage bei den potenziellen Arbeitgeber/innen, bei denen sie sich bewerben, ist oft: Überqualifiziert, kostet zu viel, zu anstrengend. Oft wird dieser Grund natürlich gar nicht geschildert. Und noch öfter ist der wahre Grund dahinter ein ganz anderer: Die Arbeitgeber, damit sind letztlich Menschen/Führungskräfte gemeint, haben Angst vor diesen „Brainies“. Sie wissen in Wahrheit um deren geistige und emotionale Stärken, genau deshalb sind sie so „gefährlich“, dass man sie sich gar nicht ins Unternehmen holt.

Mir wurde das erst so richtig klar, als ich über mein Veranstaltungskonzept mit einem Kollegen und Kunden sprach, der wirklich Lust aufs Mitmachen hatte und den Mehrwert sah. (Ich wollte Geisteswissenschaftler/innen mit Unternehmen für die Mitarbeit im Vertrieb mit einem Speed-Dating zusammen bringen). An einem Punkt unseres sehr produktiven Gespräches, als es darum ging, was die Teilnehmenden und die Unternehmensvertreter/innen denn an den Dating-Tischen machen sollten, sagte ich: „Sie sollen ihre Stärken zeigen dürfen. Keine fucking Cases cracken oder Berechnungen. Die Unternehmen bringen einfach ein sehr komplexes und existenzielles Problem aus dem Unternehmen mit und diskutieren dies ganz einfach mit den Kandidat/innen. Dabei können die Bewerber/innen zeigen, wie schnell sie auf unterschiedlichen Ebenen denken und sich in Probleme hineinversetzen können. Das genau ist ihre Stärke. Und wo ist das alles mehr gebraucht als im Vertrieb?“

BAMM!

Das genau war mein Denkfehler. Denn Ralf sagte sofort: „Ja, klar, aber die Vorbereitung darauf darf die Unternehmen nicht viel Zeit kosten. Und, ganz wichtig, Silke, Du musst sehen, dass viele davor auch Angst haben.“

DOPPELT BAMM!

Ich wusste sofort, dass Ralf recht hatte. Aber dazu muss man sehr weit gekommen sein, um das zu sehen. Und mit „weit gekommen“ meine ich: Man muss da sein, wo man Selbstbewusstsein hat, wo man seinen Selbstwert und sein volles Potenzial wirklich erkannt hat. Und man muss die sehr tiefe psychologische Weisheit erkannt haben, dass Ablehnung anderer meist nicht aus purer Lust am Ablehnen oder tatsächlich durch die abgelehnte Person selbst begründet ist. Nein, es ist andersherum: Ablehnung liegt meist Angst zugrunde. Es ist die Angst der Unzulänglichkeit in sich selbst, die einen unbewusst andere ablehnen lässt. In diesem Fall reden wir davon, dass einige Manager/innen Angst haben, dass sie weniger über Literatur, Politik, Kultur und allem voran Menschen wissen, als ihr Gegenüber.

TRIPLE BAMM!

Jetzt komme ich endlich auf den CV zu sprechen. Dieser enthielt die folgenden Eckdaten: “Geburt Ende der 1980er in einem Nicht-EU Land, exzellente Abschlüsse in der Heimat, Studium und Promotion in Deutschland, mehrere Fremdsprachen, zahlreiche Stipendien, durchschnittlich bis zum Alter von Mitte 30 ca. 1000 EUR/netto im Monat, aktuell: arbeitslos, ALG I.” Wenn man sich solch eine Vita aus Perspektive eines Außenstehenden anschaut, und die meisten Menschen tun das, wenn sie auf Universitätskarrieren und Professor/innen schauen, dann sollte man erst mal denken: „Wow! Meine Güte, mit so wenigen Mitteln aus einem nicht gerade privilegierten Hintergrund so viel erreicht in kurzer Zeit, so hart gearbeitet, so viel Wissen erworben, spricht so viele Sprachen, so viele Erfahrungen, so ein empathischer Mensch geblieben… Wie kann das nur sein, dass so jemand keinen Job bekommt? Diesem Menschen steht doch die Welt offen!“

Tja, das ist die Außenperspektive.

Die Innenperspektive (das ist die, die man ausstrahlt) sagt: „Ich bin ein Verlierer. Ich habe das Falsche studiert. Das war mein Fehler. Mich will keiner haben und ich kann froh sein, wenn ich bei Aldi an der Kasse genommen werde. Oder vielleicht werde ich Flugbegleiter/in. Die nehmen immerhin bunte Leute und bezahlen anständig. Interessiert eh keinen, dass ich beides nicht will. Hauptsache, ich komme unter.

Ist das nicht traurig?

Uni, Coaching und das Fühlen in Deutschland

Trauer hat etwas mit Traurigkeit zu tun. Das ist eines der Grundgefühle des Menschen. In Deutschland haben wir es nicht so mit Gefühlen. Das ist leider ein Erbe, das uns seit dem 2. Weltkrieg nachhängt und so schnell auch nicht aus den Körpern und Seelen verschwinden wird, da es immer weiter vererbt wird — besonders über die Mütter. Die sogenannte Mutterwunde beeinflusst das Leben so vieler Menschen in diesem Land, dass man überhaupt nicht ermessen kann, wie das Land aussehen würde, wenn es anders wäre. Aber mir geht es hier nicht um Freud, Psychoanalyse oder sonstige therapeutische Ausführungen. Worauf ich lediglich hinaus will: Das Fühlen ist etwas tief Menschliches, das das Leben von gesunden Menschen steuert.

Leider nicht so bei Top-Uni-Absolventen aus den Geisteswissenschaften

Was ich hier jetzt schreibe, gilt nicht „nur“ für Geisteswissenschaftler/innen, aber eben gerade für sie. Es geht darum, dass diese Menschen aufgrund ihrer Persönlichkeit und ihrem Lebensweg eine besondere Fähigkeit haben, sich in andere Menschen hineinzufühlen, Dinge zwischen den Zeilen zu lesen und dann mit theoretischem Wissen zu verknüpfen und in herausragender Form schriftlich und mündlich auszudrücken. Menschen, für die Geisteswissenschaftler/innen nur Laberbacken sind, ist das nicht so bewusst. Ich wurde daran erinnert als Ralf (allerdings bewusst provokativ) fragte: „Warum sollen denn gerade Geisteswissenschaftler/innen gute Vertriebler sein?“ Ich sagte: „Gute Vertriebler sind empathisch und können Storytelling, richtig? Du gehst vielleicht einmal im Monat ins Kino oder ins Theater, um das neben dem Job zu trainieren. Ein promovierter Literaturwissenschaftler dagegen hat in seinem Studium Dutzende Romane gelesen (im Leben Hunderte), dazu Dutzende Aufsätze gelesen und geschrieben und ein eigenes Buch dazu. Er hat sich in Tausende Charaktere und Lebenssituationen hinein gedacht und gefühlt, und das noch in verschiedenen Sprachen. Meinst Du nicht, so ein Mensch kann Storytelling und sich blitzschnell in einen Kunden hineinversetzen?“

„Sofort gekauft,“ sagte Ralf.

Tja, nun ist Ralf ein besonderes Exemplar, da er nicht nur Vertriebler und Führungskraft war, sondern heute auch Coach ist — genauso wie ich. Und jetzt kommen die Fäden zum Fühlen zusammen. Ein guter Coach, das werden alle Menschen bestätigen, die mit Coaches arbeiten, überschüttet seinen Coachee nicht mit irgendwelchen Methoden. Wenn er sogar sehr „bewusst“ ist, dann gibt er zu, dass er gar keine Methode hat und auch keine braucht. Er/sie ist einfach nur in der Lage, das Gegenüber, den/die Coachee, zu fühlen, ein Spiegel zu sein und da zu sein beim Gehen der nächsten Schritte. Sprich: Es geht ums Gefühl, nicht um den Kopf. Letzterer macht nur einen Unterschied, mit welchen Kunden man kann oder will. Und genau dieses Gefühl wiederum haben Menschen nach vielen Jahren im akademischen Betrieb, eigentlich schon seit der Schulzeit im deutschen Bildungssystem, leider verloren. Allem voran:

Das Gefühl für sich selbst.

Es gibt hunderte von Artikeln und Studien mittlerweile dazu, welchen Mehrwert die Geisteswissenschaften in der Gesellschaft leisten, auch und gerade in der Wirtschaft. Und schon die alten Griechen wussten, dass das Theater und die Kunst essenziell für eine Gesellschaft sind, da sie nämlich die Menschen das Fühlen lehren — die Empathie, das Gespür für sich und andere. Dazu zählt auch das Erfühlen von passenden Lösungen. Das ist das, was jede/r Unternehmer und Führungskraft „Bauchgefühl“ nennt. Es ist dieses essenzielle Etwas, das den Menschen zum Glück führt, von Menschenangedenken. Genau dieses Fühlen also, das gerade Literatur- und Kulturwissenschaftler/innen in besonderem Maße als Gabe gegeben ist und was sie zu ihrer Studienfachwahl geführt hat, wird ihnen dann aber zum Verhängnis.

Nach ca. 4 Jahren des Studiums, 3–5 Jahren oder mehr Promotion, befristeten Verträgen und Hungerlohn fühlen sie sich selbst nicht mehr.

Warum?

Weil man so hart gar nicht ackern kann, wenn man ständig seinen Schmerz fühlt.

Meine Coachees, und ich coache seit acht Jahren nebenberuflich Menschen in der Wissenschaft, sagen oft solche Sätze wie: „Silke, ich will einfach nur ein Leben, ein ganz normales Leben, wie alle anderen. Ich will doch gar nicht reich sein. Ich will nur solch banale Sachen — eine Wohnung mit mehr als einem Zimmer, eine Beziehung, vielleicht mal Kinder, einen Urlaub, einfach Spaß im Leben haben.“ Das ist der Punkt, an dem ich dann immer schon heulen könnte, wenn ich nicht mittlerweile wüsste, wie man das ändern kann (was allerdings ein langer intensiver Weg ist). Und wenn ich dann frage: „Was macht Dir denn Spaß?“ Dann kommt erst einmal ein Seufzen und dann ein resigniertes Lachen und dann ein trauriger Blick mit der Antwort:

„Ich weiß es nicht.“

Und das ist keine Ausrede. Das ist leider die Realität. Ein Mensch, der einen solchen Karriereweg hinter sich hat, um dann keine Karriere zu haben und arbeitslos zu sein, der fühlt einfach nicht, was ihm Spaß macht. Er hat es vergessen. Das heißt, genauer gesagt, hat es sein Kopf vergessen. Der Körper kann sich noch daran erinnern, aber dafür muss er erst mal wieder aus der Erschöpfung herauskommen, was eine Story für sich ist. Worauf ich hinauswill: In der akademischen Welt, in der nur der Kopf gewürdigt und gewertschätzt wird; einer Welt, in der in der aktuellen Professor/innen Generation noch sehr viele Frauen und Männer Mitte/Ende 50 unterrichten, die selbst Opfer der Wunden ihrer Elterngeneration sind und denen „Liebe ohne Leistung“ fremd ist— in solch einer Welt können junge Menschen keinen gesunden Selbstwert entwickeln und fühlen, was ihr ganz eigener Weg ist und welcher eben nicht.

Wie sollen sie das auch können?

Und wenn sie es gekonnt hätten,

wären sie den Weg wohl nie gegangen…

Gott = Professor/in?

Vor noch nicht allzu langer Zeit sagte eine mir vertraute Person aus der Universität zu mir: „Silke, Du bist eine exzellente Coach und Managerin. Aber Professorin wirst Du sicher nicht.“ Als sie das sagte, verletzte es mich. Ich verstand aber schon damals, was sie meinte. Aus ihrer Perspektive heraus war das „wahr“, auch wenn sie es wahrscheinlich anders erklärt hätte als ich jetzt hier. Ein Coach ist jemand, der andere Menschen begleitet und ihnen hilft, ihren Weg zu gehen. Ein Manager bringt Dinge voran. Ein Professor… Tja, was macht eigentlich ein Professor, wenn er diese beiden Dinge gerade nicht macht…!?

Hier wird es einerseits lustig, andererseits auch wieder traurig. Professor/innen sind ja gemeinhin für ihr Fachwissen bekannt. Das ist auch richtig und nach wie vor gültig. Das Problem ist nur, dass die Universität, das sagt schon der Name, Menschen an einem Ort vereint, um Lehre und Forschung unter humanistischen Idealen zu vereinen. Sprich: Professor/innen müssen auch mit Menschen können. Sie sind Lehrer/innen für Große. Aber dafür werden sie gemeinhin nicht mehr eingestellt, auch wenn viele von ihnen mit diesem ehrlichen Talent und Ziel den Job gestartet haben. Sie sind eingestiegen, weil sie das Wissen, das sie sich selbst erarbeitet haben, auch an künftige Generationen weitergeben wollen. Pädagogik war Teil ihres Selbstverständnisses. Tatsächlich stellt man sie heute aber ein dafür, dass sie Drittmittel einwerben und peer-reviewed Papers produzieren— am besten gleichzeitig und 24/7.

Klar, dass sich da keiner mehr selbst fühlen kann — auch die Professor/innen nicht.

Die Misere an dem Ganzen ist, dass ich alle Seiten verstehen kann. Ich verstehe Professor/innen, die heute in der Endphase ihrer Karriere sind und ihr Leben lang gekämpft haben. Sie sind mit Müttern und Vätern groß geworden, die sie aufgrund ihrer eigenen nie ausgelebten Wut und Verwundung verprügelt und zur Ordnung erzogen haben. Sie haben sie mit emotionaler Kälte bestraft und mit der unbewussten Botschaft, dass nichts im Leben sicher ist und alles hart erarbeitet werden muss. Genau deshalb ist vielen dieser aktuellen Professor/innen Generation auch finanzielle Sicherheit im Beamtentum so wichtig. Sie wollten nicht nur Professor/in werden, um es sich und den Eltern zu beweisen oder sie “glücklich zu machen”, um andere Frauen (und Männer) zu ermutigen. Nein, sie wollten auch finanziell unabhängig sein.

Das sind alles verständliche Ziele.

Nur glücklich machen sie eben oft nicht.

Aber das können viele gar nicht mehr fühlen.

Ich selbst habe diesen Weg hinter mir. Wäre ich nicht im Alter von 24 Jahren so massiv psychisch erkrankt, wäre ich wahrscheinlich gestorben oder Professor/in geworden. Ersteres ist natürlich „schlechter“ als Letzteres. Beides macht mich aber nicht wirklich glücklich. Doch das wusste ich damals nicht. Ich wusste nur, dass ich Professor/in werden wollte, weil ich eben auch wusste, dass ich es könnte, wenn ich es nur wollte. Und irgendwo in mir drin wusste ich auch, dass ich die Fähigkeiten gehabt hätte. Wer viel kann, will irgendwann auch viel, weil er/sie die Möglichkeiten bekommt. Doch was ich nie wusste, war, was ich wirklich wollte. Und da sind wir wieder beim Grund: Ich konnte es nicht fühlen bis mir die Krankheit endlich und rettender Weise sagte, was mich offensichtlich nicht glücklich machte. Und das war: Ich konnte meine Gefühle nicht auf Dauer abspalten in dieser kalten Welt der Kopfmenschen. Ich wusste in mir drin, dass ich das nicht war oder nur sein könnte, wenn ich mich massiv verbiege — mein Selbst, das irgendwo verborgen war — für immer begraben würde.

Was hat das nun mit Gott zu tun?

Nun, einerseits sind Professor/innen in der Uni so etwas wie Ärzte in der Klinik. Über ihnen steht nichts, außer vielleicht der Uni-Präsident. Sie werden auch gesellschaftlich so behandelt, gerade in Deutschland. Wir sind nach wie vor eine sehr titelgläubige Nation. Wie ist es anders zu erklären, dass sich Menschen fast das Leben nehmen, wenn es Plagiatsvorwürfe gegen ihre Dissertation gibt oder andersherum, wenn sie sich eine Doktorarbeit erkaufen, nur um den Titel zu haben (damit sage ich nicht, dass das allein ausschlaggebend für Suizid ist)? Worauf ich hinauswill: Professor/innen haben nicht nur gesellschaftlich einen Götterstatus, sie werden auch zu maßgeblichen Vorbildern für ihre Doktorand/innen. Damit meine ich gar nicht, dass sie diesen Status mit irgendwelchen narzisstischen oder sonstigen manipulativen Mitteln bewusst beanspruchen. Es passiert automatisch dadurch, dass sie die Hauptbetreuungsfunktion für ihren wissenschaftlichen Nachwuchs erbringen und dieser von ihnen „abhängig“ ist — im wahrsten Sinne des Wortes.

In Deutschland gibt es immerhin noch den Begriff „Doktormutter und -vater“.

Schon mal drüber nachgedacht?

Es kommen die gleichen Psychomuster zum Tragen wie bei den „echten“ Eltern, nur übertragen…

Coaches und der Glaube

Wenn ich nun die Rolle des Coaches anschaue, die Professor/innen in den meisten Fällen ablehnen (ähnlich wie die der Führungskraft/Leadership), dann fließen hier die Fäden der oben genannten Erkenntnisse zusammen. Professor/innen können in erster Linie nicht Coach sein, weil ein Coach nicht seine eigenen Ziele mit dem Coachee verfolgt (das gilt allerdings nur, wenn ein Coach seine eigene Abhängigkeit von Methoden überwindet). Professor/innen, zumindest im heutigen System, wollen sich das nicht leisten, es sei denn, sie nehmen sich die Freiheit, ihre Gestaltungskraft wirklich „auszureizen“. Das würde bedingen, dass sie selbst in jeder Hinsicht befreit sind. Dafür sind sie aber nach der eigenen Ochsentour psychisch und professionell gar nicht in der Lage. Sie müssen um ihr eigenes Überleben kämpfen, Beamtentum hin oder her, und dafür müssen sie „Erfolge“ nachweisen — z.B. eben den wissenschaftlichen Nachwuchs und die Anzahl von Doktorand/innen. Dieses „Müssen“ ist de facto aufgrund ihrer finanziellen Absicherung auf Lebenszeit ein innerer Leistungszwang, aber der ist massiv.

Ich behaupte, es geht trotzdem anders, wenn man sich frei macht.

Als Coach hat man vielleicht aktuell weniger etwas mit der Rolle des Professors gemeinsam, aber einiges mit Gott. Das klingt jetzt größenwahnsinnig, aber es ist einfach zu erklären. Beim Glauben (nicht nur dem christlichen) geht es um Liebe und Hoffnung. Da ist ein „Wesen“ oder eine „Macht“, die ist immer bei einem, die versteht einen immer, die sieht einen immer, nimmt einen an, wie man ist, mit allen Fehlern, und gibt einem Hoffnung, dass all das, was man hier auf Erden treibt, irgendeinen Sinn hat, der sich täglich erschließt, wenn man sich spürt. Mit anderen Worten: Auch das Malochen und die viele Arbeit kann durchaus einen Sinn haben, wenn man gelernt hat, das Leben anzunehmen, und damit auch die eigene Geschichte. Man geht ins Ungewisse, aber man folgt nach in gewisser Weise. Und man spürt bei alledem, dass man nicht allein ist.

Genau das macht ein Coach.

Er ist da.

Er nimmt Dich an, wie Du bist.

Er versteht Dich.

Er macht Dir Mut,

wenn das Professor/innen schon nicht können oder wollen…

Für diese Dinge stehe ich. Das ist meine Berufung, Menschen auf ihrem Weg zu begleiten, u.a. auch als Coach. Wenn ich es als Professor/in im aktuellen System trotz aller Qualifikation nicht darf, nehme ich das dankend an. Für Weisheit wird man eben nicht berufen und für Mund aufmachen und lästige Fragen stellen schon gar nicht. Das beantwortet aber auch, warum ich mit meiner Event-Idee auf dem Holzweg war. Ich wollte den Bewerber/innen damit etwas Gutes tun. Das Gegenteil wäre der Fall gewesen. Zunächst einmal bin ich weder Event-Managerin oder Vertriebler/in. Ich kann all diese Dinge, aber in erster Linie bin ich da, um Menschen zu begleiten, ihren eigenen Weg für sich zu erfühlen und zu gehen, sofern sie das möchten. Wenn ich davon selbst abkäme durch mein Helfer/innen-Syndrom, würde ich gegen mein eigenes Sein verstoßen. Darüber hinaus glaube ich nicht, dass gerade diese Zielgruppe in Unternehmen, in denen Manager Angst vor ihnen haben, ihre „Gang“ finden — wahres Verständnis und die Annahme ihres ganzen komplexen und schnell denkenden und fühlenden Seins.

Sie müssten sich wieder verbiegen und diesmal ihren Kopf abspalten.

Das Bedürfnis, verstanden zu werden in seinem ganzen Sein, ist uns Menschen inne. Wir suchen es in den Eltern, in Partner/innen, in all unseren Beziehungen. Leider geben wir die Hoffnung oft zu früh auf, dass das wirklich zu finden ist. Wir geben uns „zufrieden“ mit dem, was eben „normal“ ist — Mann/Frau, Haus, Kinder, Beruf…. alles schön ruhig und sicher bis zur Rente. Den „Jungen“ wird immer etwas anderes nachgesagt, aber das ist nicht so. Auch die „Jungen“ vergessen sehr schnell, wie Glücklichsein sich für sie wirklich anfühlt. Sobald sie lernen, dass Glück mit gewissen Dingen zu tun hat, die „man eben so hat“, gibt man das Suchen auf — und das Fühlen. Und das tun gerade die, die einen ultra-schnellen Kopf haben und ein Herz, das so viel spürt, dass es mit den ganzen Empfindungen gar nicht umgehen kann, wenn es sich nicht selbst betäubt mit Koks, Alkohol, Arbeit, Sex oder sonstigen Drogen.

Mein Glaube ist es, dass Professor/innen (und andere “Berufsgruppen”) genauso Coaches sein können in ihrer Rolle, wenn sie sich dazu entschließen. Das erfordert aber einen radikalen Shift in ihrem Selbstverständnis und in ihrer eigenen Bereitschaft, sich zu sich selbst hin zu entwickeln. Damit meine ich, dass es allein an mir als Professor/in liegt, ob ich Studierenden helfe, sich selbst zu finden im Studium oder ob ich sie spüren lasse, dass sie sich zwar selbst finden können, ich aber nur diejenigen fördere und „liebe“, die so werden wie ich selbst: nämlich Professor/in oder zumindest Doktorand/in im Fach xy.

Wenn ich meinen inneren Auftrag als „Bildung“ im ganzheitlichen und durchaus „christlichen“ Sinne verstehe (ich habe ein Problem mit allen Kollektiven, wozu auch religiöse Gruppen gehören…), dann sieht die Sache anders aus. Dann sehe ich mich, ähnlich eines/r Pfarrer/in, als Lebensbegleiterin, die auch Wissen vermittelt, deren wahre Berufung aber die Vermittlung von Weisheit ist. Das ist ein großer und machtvoller Begriff, aber die Weisheit gibt es auch in unserer informationsüberfluteten aber vielfach verdummten Gesellschaft noch. Sie ist zeitlos. Sie hängt nicht von Titeln oder Positionen ab. Man kann sie in der Bibel lesen, bei der Bäuerin auf dem Dorf hören, im Gefängnis, im Hospiz und im eigenen Leben erfahren — wenn man ein offenes Herz hat und der inneren Stimme folgt. Ein solcher Mensch braucht keinen Talar und keinen Titel, um Studierenden und Doktorand/innen das Wichtigste zu vermitteln, was sie für ihren späteren Weg brauchen: Die Liebe in sich zu entdecken, das Gespür von Aktivitäten, die gut tun, die erfüllend sind, und die letztlich zu einem Beruf — der Berufung — werden.

Ich wünsche allen Studierenden auf der Welt,

dass sie solch einen Menschen finden.

Und ich wünsche allen Professor/innen auf der Welt,

dass sie den Mut finden, ihre Rolle gemäß ihres Herzens zu füllen und nicht nach dem Kopf und äußeren Zwängen.

Und ich wünsche allen Menschen, die auf der Suche nach einer erfüllenden Tätigkeit sind,

dass sie einen Menschen in ihrem Leben finden,

der sie darin bestärkt.

Gott kann bei alledem nicht schaden!

Reflexionsfragen

1) In welchen Momenten/bei welchen Aktivitäten fühlst Du Dich besonders lebendig und „glücklich“? Wann war das letzte Mal? Wo spürst Du das im Körper und wie fühlt es sich an?

2) Glaubst Du daran, dass „sich verbiegen“ und „anpassen“ einfach zum Erwachsensein gehört? Welche Beispiele kennst Du von Menschen, die Du schätzt, die das nicht so machen?

3) Wer hat Dir auf Deinem Ausbildungsweg geholfen, Deinen ganz eigenen Weg zu finden? Wenn Du das nie erfahren hast — wer könnte es in Deinem aktuellen Umfeld sein?

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