# 514: BOOK OF THE WEEK — „Dann bleiben wir eben zu Hause!”

Silke Schmidt
8 min readFeb 1, 2024

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Bergmann, Renate (2020). Dann bleiben wir eben zu Hause! Mit der Online-Omi durch die Krise.

Geschichte hinter der Buchauswahl

Gestern Abend habe ich einen sehr lustigen Krimi gesehen. Ich habe schon lange nicht mehr so oft und laut gelacht bei einer Fernsehsendung. Es gab viele Jahre, da habe ich vor lauter Arbeit das Fernsehen überhaupt nicht mehr gekannt! Es gab nichts, was mich dazu gebracht hätte, etwas „für mich“ zu tun. Heute sind diese Zeiten Gott sei Dank rum. Und ich habe es wirklich genossen. Darüber hinaus hat es mich inspiriert, mich erneut daran zu erinnern, wie wunderbar das ist, wenn man mit seinen Geschichten Menschen zum Lachen bringt. Ob es nun ein Krimi oder eine Komödie oder ein Roman ist — Genre und Medium sind völlig egal. Das Geschenk ist allein, dass Menschen in eine andere Welt abtauchen und völlig „ohne Kontrolle“ emotional reagieren.

Als Schreibende vergisst man dieses „Wunder“ in so manch dunklen Momenten, in denen man zweifelt.

Diese Momente werden bei mir immer weniger.

Und Geschichten wie die von Renate Bergmann helfen dabei.

Da ich mit meinem sonntäglichen Schreiben mal wieder einige Tage hintendran bin, wollte ich keinen langen Roman mehr lesen. Und es war völlig klar, dass heute etwas Lustiges gelesen werden wollte. Renate Bergmann liegt schon seit einiger Zeit in meinem Regal. Ich glaube, dies hier was das erste Buch von ihr, das ich gelesen habe. Es gibt noch einige weitere, die aufs gelesen werden warten. Ich weiß gar nicht, welches das erste war, das ich gekauft habe. Ich weiß aber, dass es während der Corona-Zeit war. Und ich weiß auch, dass ich die Bücher meiner Mutter zum Lesen mitgebracht habe. Trotzdem wollte auch ich sie irgendwann lesen. Denn die Story des Autors, der mit dem Pseudonym Renate Bergmann Bestseller produziert, fand ich schon immer irgendwie lustig in sich — ohne die Stories genau zu kennen.

Ich muss sagen, das nächste Leseerlebnis mit Renate Bergmann wird nicht lange auf sich warten lassen. Die Bücher haben wirklich Suchtcharakter. Ich musste an vielen Stellen sehr herzhaft lachen, wie es ja auch meine Motivation gewesen war. Aber Lachen kann man nicht planen, genauso wenig wie die Liebe oder Husten, wie auch Renate Bergmann mit all ihrer 82-jährigen Lebenserfahrung gut weiß. Doch das Buch ist nicht „nur“ lustig. Es ist auch und gerade voller Lebensweisheit, um den Begriff mal hier in den Ring zu werfen. Natürlich ist es diese Kombination, die wirklich guten Humor ohnehin ausmacht. Humor ist nicht Slapstick. Und dieses Buch ist, auch wenn es um vermeintlich banale Alltagsschilderungen aus der Corona-Zeit geht, nicht einfach nur „leichte“ Unterhaltung.

Es ist gute Unterhaltung!

Wann immer ich jetzt wieder Menschen mit Maske in Zug oder Bus sehe, dann denke ich kurz an die Corona-Zeit zurück. Es ist für mich weiterhin solch ein Wunder, wie man als Menschheit solche Zeiten irgendwie „hinter sich lassen“ kann, fast vergisst. Und das alles ist eben noch nicht lange her. Trotzdem fühlt es sich an, als sei das alles so weit weg. Und die Vorstellung, dass wir wieder „zu Hause“ bleiben müssen oder uns nur mit Abstand sehen, klingt einfach absurd. Trotzdem könnte es ja immer wieder passieren. Oder doch nicht?

Ich finde schon, dass Corona die Distanz der Menschen nachhaltig vergrößert hat. Damit meine ich den körperlichen Umgang miteinander. Das Händeschütteln oder sich näher gegenüber stehen, gibt es jetzt irgendwie weniger, finde ich zumindest. Wahrscheinlich ist das nicht überall auf der Welt so, aber bei den Deutschen wahrscheinlich in besonderer Form. Wir sind einfach kein Volk, das sich gern anfasst — weder physisch noch psychisch. Wir mögen die Distanz. Die hilft, uns an der heiß geliebten Sachlichkeit fest zu krallen. Und ich glaube, das ist das, was uns irgendwie „kühl“ macht. Aber vielleicht ist das nur mein Empfinden.

Renate Bergmann jedenfalls hat mich nicht „kalt“ gelassen.

  1. Lebensereignisse
Bergmann 10

Diese Seite läutet das Grundthema „zu Hause bleiben“ ein. Aber mir geht es vor allem um die ersten Passagen. Diese knappe Zusammenfassung eines langen Lebens anhand einiger prägender Ereignisse (Lindenstraße, Ehemänner) gibt eigentlich nur einen winzigen Ausschnitt wieder. Und doch sagen so wenige Worte manchmal so viel. Und vor allen Dingen bleibt, wenn wir wirklich etwas zu sagen haben, auch nur das Sprechen in ganz wenigen prägnanten Worten.

Mir ist das vor wenigen Monaten bei einer Trauerrede bewusst geworden. Man hat vielleicht zehn Minuten, um das gesamte Leben einer Verstorbenen zu würdigen. Wer jemals eine solche Rede ausgearbeitet hat, der weiß, wie wenige Worte da auf das Papier passen. Man reduziert sich, wie bei allen wichtigen Reden, bei denen etwas hängen bleiben soll, auf das Wesentliche. Und doch hat man danach das Gefühl, dass das eigentlich falsch ist. Da sind ein paar „Highlights“ aneinander gereiht — wenn möglich auch noch mit thematisch rotem Faden und Dramaturgie. Das war es!

Als Schreibende bin ich hin- und hergerissen. Ich verstehe es, wenn Leute sagen, dass sie keine langen Texte lesen können, wenn sie keine Zeit haben. Das stimmt. Aber ich merke eben auch an mir, dass Lesen immer noch schneller ist als Beiträge lang und breit anzuhören, bei denen ich nicht selbst überblicken kann, wo mein Auge länger hängen bleibt. Klar, nicht jeder ist ein trainierter Speed-Leser. Aber es kann nicht sein, dass wir ALLES nur auf einem Absatz unterbringen müssen, weil angeblich keiner mehr liest.

Gerade als Selbstständiger lernt man, genau nicht das zu machen, was einem jeder rät. Natürlich muss man irgendwas machen, was auch irgendwer kauft. Aber meine Erfahrung ist — man findet diese Menschen. Dann sind es die „Richtigen“. Und genau diese wollen diese Texte genauso. Und die anderen kann man eben getrost „vergessen“, im Sinne von ausblenden. Sie können ja weiter ihre ultra-kurzen und oft leeren Texte sonstwo aufschnappen oder eben gar nicht lesen. Ich bleibe bei meinen Büchern. Und Renate Bergmann zeigt, dass Tiefe und Humor und alles Lebens- und Lesenswerte eben auch ein paar Seiten brauchen, um Wirkung zu entfalten.

Trotzdem sei neben all den Gedanken ums Schreiben anzumerken, dass genau diese Situation Corona wirklich tragisch gemacht hat. Da sind Menschen verstorben, die ein langes Leben überlebt haben. Sie haben Krieg, Hunger und sonstige Lebenshürden gemeistert. Und dann kommt „einfach“ das Virus und alles war aus. Ich selbst habe niemand Nahestehendes in dieser Zeit verloren — nicht jung, nicht alt. Aber ich kenne viele Erzählungen von Menschen, denen es so gegangen ist. Deshalb ist das Buch in seiner Kernbotschaft so wichtig und irgendwie auch pädagogisch: Bergmann macht das „zu Hause bleiben“ ein bisschen leichter, ein bisschen lustiger, ein bisschen erträglicher.

Und das war etwas wert — gerade in der Zeit.

2. Scheff

Bergmann 18

Natürlich ist eine der vielleicht nachhaltigsten„Veränderungen“ der Corona-Zeit das Home Office. Ich habe seitdem keine Studien mehr verfolgt, aber mein Gefühl ist, dass Home Office jetzt gängiger ist als zuvor. Vielleicht wäre das im Zuge der Digitalisierung eh so gekommen, auch ganz ohne Seuche — wir wissen es nicht. Was wir wissen, ist, dass es herausfordernd war für viele, Arbeit und Kinderbetreuung gleichzeitig vor dem Bildschirm zu meistern. Und wir wissen auch, dass es zu vielen kuriosen Situationen kam, in denen Menschen uns vielleicht so ganz anders vor dem Bildschirm erschienen sind als wir sie zuvor aus dem „geordneten“ Büroalltag kannten.

Bei dieser Seite habe ich mich wirklich weggeschrien — denn Sprache und Rhythmus des Textes sind einfach nur schön. Und ich finde gerade die Szene aus dem letzten Absatz — der „Scheff“ mit leckender Katze — sehr gewinnbringend. Corona hat das geschafft, was die „normalen“ Zeiten nicht fördern: Menschlichkeit. Ich glaube, wie bereits gesagt, nicht, dass dieser Effekt sich dauerhaft gehalten hat. Wir Menschlein sind nun mal mit der Gabe des schnellen Vergessens ausgestattet — wahrscheinlich eine überlebenswichtige Fähigkeit. Trotzdem war es sicher für viele sehr befreiend, ihre Führungskräfte in ganz und gar anderen Umständen zu erleben, die auch ihre Emotionen an den Tag gelegt haben.

Schade!

Trotz all der Tragik

würde Corona uns an manchen Tagen wieder gut tun…

3. Selbst machen

Bergmann 63

Die Rezepte in dem Buch waren für mich unerwartet und wirklich schön! Es gibt darin einige, die können wir uns wortwörtlich hinter die Ohren schreiben und in besonderen Momenten nutzen, um etwas in der Küche zu zaubern. Damit ist z.B. der „Arme Ritter“ gemeint. Nein, ich erkläre jetzt nicht, wie das geht. Jeder kann selbst googlen. Aber wer das Gericht kennt, der weiß, wie man mit sehr wenigen und günstigen Zutaten sehr viel Leckeres auf den Teller zaubern kann. Und wenn es eines gibt, das man von alten Menschen lernen kann — und auch von solchen, die einfach viele harte Zeiten im Leben durchgemacht haben — dann ist es genau das: Wie man aus wenig viel macht.

Auf manche kuriose „Selbstmach-Rezepte“ wäre ich aber nie gekommen. Damit meine ich noch nicht mal das genaue Rezept. Ich meine allein die Idee, diese oder jene Zutat überhaupt erst selbst her zu stellen. Bei Hefe hier war das so. Hefe ist wirklich ein wundersames Mittel beim Backen. Da ich backen liebe, staune ich oft darüber, was schon ein halber Würfel Hefe in einem Teig alles in Gang setzen kann an chemischen Prozessen. Die Tatsache, dass Hefe während Corona genauso hart umkämpft im Supermarkt war wie Klopapier und Nudeln war mir völlig entgangen. Doch offensichtlich lässt sich eine Renate Bergmann davon nicht bremsen. Auch wenn sie tatsächlich aufgrund der Hartnäckigkeit ihres Neffen noch an genug „richtige“ Hefe kam (und die übrigen Würfel dann einfror), so präsentiert sie hier eine wirklich gangbare Alternative.

Ich habe direkt Lust, den nächsten Kuchen mal mit diesem Ersatz zu backen.

Warum nicht?

Kreativität ist eine der sichersten Überlebensstrategien,

und ich bin froh,

dass diese Gabe mich auch in „gesunden“ Zeiten trägt.

Und Torsten Rhode, der „wahren“ Renate Bergmann,

wird es ähnlich gehen.

Ich werde davon lesen…

Reflexionsfragen

1) Nenne drei Worte, die wesentliche Stationen in Deinem Leben wiedergeben. Wie leicht fällt Dir das?

2) Findest Du, dass sich Besonderheiten der Arbeit während Corona (Online-Meetings, Home Office, Emotionalität) gehalten haben? Warum/nicht?

3) Kennst Du Rezepte von Deinen Eltern, Großeltern oder anderen älteren Menschen, die Du selbst noch nutzt? Was bedeuten sie Dir?

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