# 506: BOOK OF THE WEEK — “Kein Ort. Nirgends.”

Silke Schmidt
4 min readDec 23, 2023

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Wolf, Christa (2021/2007). Kein Ort. Nirgends.

Geschichte hinter der Buchauswahl

Dieses Buch war mir bei einem Spaziergang im Rheingau empfohlen worden. Ich glaube, wir sprachen von Selbstmord, auch wenn es ansonsten ein erheiterndes Gespräch war. Auf jeden Fall spielt die Geschichte im Rheingau, wo sich Karoline von Günderrode das Leben nahm. Heinrich von Kleist tat das ebenfalls, nur eben nicht im Rheingau. In der Geschichte lässt die Autorin fiktive Versionen der beiden realen Personen aufeinander treffen.

Ich muss gestehen, dass ich mit dem Buch meine Schwierigkeiten hatte/habe (ich bin noch immer nicht durch). Trotzdem schreibe ich drüber, weil ich schon wieder fast eine ganze Woche im Verzug bin mit dem Bloggen. Doch es ist viel Schönes in der Zwischenzeit passiert. Das ändert nichts daran, dass ich dieses Buch bewusst eben wegen des Themas Suizid gewählt habe. Aktuell in den dunklen Monaten nehmen sich wieder mehr Menschen das Leben als ohnehin schon. Jeder, der wieder Lust aufs Leben gewinnt, ist einer weniger. So sollte man rechnen.

  1. Richtigkeit der Natur
Wolf 11

Hier habe ich nur diesen einen Satz unterstrichen, weil er mir inmitten der anderen Zeilen entgegen gesprungen ist. Ja, ich glaube daran, dass die Natur am ehesten das darstellt, was man als „richtig“ bezeichnen könnte. Und damit meine ich, dass sie einfach nur sie selbst ist. Sie folgt ihren Gesetzen und wir folgen ihnen. Das ist nicht unsere Wahl. Wir mögen uns dagegen sträuben, aber es bringt nichts. Das Gesetz der Natur bedeutet Leben und Sterben — und zwar zu einem nicht selbst gewählten Zeitpunkt. Beim Sterben kann man das allerdings anders einrichten.

Zu diesem Zeitpunkt der Geschichte weiß die/der Leser/in noch nicht, welches Schicksal „die Günderrode“ wählen wird. Doch ich gehe davon aus, dass die meisten, die dieses Buch zur Hand nehmen, die Geschichte eben lesen, weil sie die Handlung der realen Charaktere kennen. In jedem Fall ist dieser Satz irgendwie ungewöhnlich inmitten der anderen Sätze. Doch wahrscheinlich ist das einfach Christa Wolf. Ich habe sie zum ersten Mal in der Schule gelesen. Und überhaupt erinnert mich das Buch sehr an die Schule. Da hat man auch oft Bücher lesen müssen, die man erst sehr viel später verstanden hat. Wahrscheinlich ist das mit diesem auch so.

Ich lasse mich nicht abschrecken.

2. Schreiben als Sehnsucht

Wolf 26

Da dieser Blog nicht nur das Schreiben repräsentiert, sondern auch Schreiben über das Schreiben zum Inhalt hat, verwundert diese Passage nicht. Natürlich erkennt sich jeder Schreibende in diesen Worten wieder. Da ist ein inneres „Müssen“. Doch gleich darauf folgt hier die Umkehr — die Negation. Jemand, der schreiben will und sogar innerlich muss, aber es offensichtlich nicht verwirklichen kann; aus Angst, nicht zu genügen oder zu scheitern oder aus sonst einem Grund der gefühlten Unfähigkeit.

Ich bin froh, dass diese Zeiten lange hinter mir liegen. Ja, es ist ein Schritt, das Schreiben öffentlich zu machen. Aber hat man es mal getan, merkt man, dass nichts Schlimmes daran ist. Und irgendwann enledigt sich man einfach aller „Leistungsansprüche“ und tut, wonach einem ist. Das ist übrigens „leben“. Wer genau dieses „wonach einem ist“ nicht (mehr) spürt, wird irgendwie lebensmüde. Und das ist schade. Ich kann nur jeden ermutigen, genau dem nach zu gehen, was ihm/ihr am Herzen liegt. Damit wird zumindest die Wahrscheinlichkeit kleiner, sich das Leben zu nehmen.

Eigentlich ist das Leben ganz einfach, wenn man es mal erst als sehr kompliziert erfahren hat!

3. Empfinden

Wolf 37

Ich denke, das stimmt. Wenn wir Emotionen aussprechen, dann sind diese immer „wahr“, auch wenn sie nicht allgemeingültig oder übertragbar sind. Aber keiner kann sie uns absprechen. Das ist das Schöne. Gefühle sind keine statistischen Daten oder Matheformen, bei denen ein Lehrer oder Professor kommen kann und uns von ihrer „Falschheit“ überzeugt. Diese Passage geht einher mit der ersten, die ich oben besprochen habe. Die Natur ist „richtig“, genauso wie Emotionen „wahr“ sind. Das ist nicht zeitlos und sie verändern sich. Doch wir tragen all dies in uns. Und das gilt es an zu nehmen — sonst gibt es kein glückliches Leben.

Reflexionsfragen

1) Interessieren Dich die Gesetze der Natur? Warum/nicht?

2) Kannst Du verstehen, dass jemand eine starke Sehnsucht nach einer künstlerischen Tätigkeit in sich trägt und sie trotzdem einfach nicht ausübt? Wie würdest Du so jemanden ermutigen?

3) Sprichst Du gern über Deine Emotionen? Warum/nicht?

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