# 490: BOOK OF THE WEEK — “Warum Altgriechisch genial ist”
Geschichte hinter der Buchauswahl
Diesmal schreibe ich wieder über ein Buch, das ich noch nicht fertig gelesen habe. Aber auch nach der Hälfte kann ich sagen, dass es wirklich hält, was es verspricht. Die Liebe der Autorin zum Altgriechischen kommt definitiv rüber. Leider hat mich die Begeisterung über das Buch trotzdem noch nicht in gleicher Weise begeistert weiter lernen lassen. Ich kann aber sagen, dass ich langsam „infiziert“ werde — gaaaanz langsam. Bekanntermaßen rangierte meine Abneigung gegenüber dem Altgriechischen als Pflichtsprache im Theologiestudium gleich hinter Hebräisch. Sehr bewusst war mir aber auch, dass diese Abneigung hauptsächlich in der Didaktik begründet war. Das bestätigt die Autorin mit ihrer „liebevollen“ Herangehensweise.
Tatsächlich versteht sie die Frustration sämtlicher Schüler/innen und Studierenden, die von Auswendiglernen gepeinigt sind. Und sie leistet ihren Beitrag, dass all diejenigen, die gelitten haben oder noch leiden, ENDLICH einmal den SINN hinter den ganzen Formen in den unzähligen Tabellen begreifen. Das ist ein Segen und kann eben nur von jemandem geleistet werden, der den Inhalt, den er weitergibt, wirklich liebt und in der Tiefe ergründet hat. Leider ist das in deutschen (Hoch-)Schulen trotzdem kein Standard. Ich spreche niemandem ab, der das Fach studiert hat, dass er/sie diese Sprache „liebt“, wie man eben in etwas aufgeht.
Trotzdem haben gerade wir Deutschen es einfach nicht drauf, diese Liebe auch so emotional zu vermitteln, dass etwas hängen bleibt. Und ich sage deshalb „wir Deutschen“, weil ich einfach das Glück hatte, auch die Didaktik anderer Länder kennen zu lernen. Und da war das eben anders. Wobei man natürlich dazusagen muss, dass die Autorin Italienerin ist und zumindest grundbewandert auch im Deutschen, sofern man der Übersetzung glaubt. Das heißt nicht, dass Italiener-Sein per se Liebe verbreitet. Aber es ist eben schon etwas dran, dass man, je weiter südlich man auf dem Erdball kommt, auch mehr Wärme im Herzen spürt — jedenfalls geht es mir so.
- Schriftstellerei
Zwar ist die Seite hier unten abgeschnitten, aber man sieht trotzdem, worum es geht. Die Autorin ist durch dieses Buch zur Schriftstellerin geworden. Schon ab dieser Seite, die wie alle folgenden der Auswahl aus dem Vorwort stammt (nein, ich habe nicht nur das Vorwort gelesen, aber da waren eben schon die bewegendsten übergreifenden Passagen drin), hat mich das Buch unerwartet stark gepackt. Denn natürlich kann man sich als jemand, der das Schreiben liebt, sofort mit dem Glück identifizieren, das die Autorin hier schildert. Und es ist kein Wunder, dass sie diesen „Durchbruch“ mit etwas schaffte, das sie eine Liebesgeschichte nennt.
Ja, es ist merkwürdig, wie jemand etwas so lieben kann, dass wahrscheinlich die große Mehrheit der Griechischlernenden als Horror empfindet. Aber das macht nichts. Ich finde es sehr schön und fand es beim Lesen ebenfalls sehr einladend. Denn man hat wirklich das Gefühl, dass einem hier jemand eine Perspektive auf etwas zeigt, das man selbst einfach schon „abgestempelt“ hat, von dem man aber weiß, dass man, sofern man es mit der Theologie ernst meint, nicht drumrum kommt (jedenfalls aktuell noch nicht). Was ich damit sagen will: Es ist wirklich ein bisschen so, wie wenn einem eine Freundin oder ein Freund von der neuen Liebe erzählt. Man mag diese neue Liebe vielleicht persönlich schon kennen und im schlimmsten Fall auch schon in eine Schlublade gesteckt haben. Trotzdem ist man, so hoffe ich jedenfalls, offen für den verliebten Blick der nahestenden Person.
Ob das wirklich zum Lernen motiviert?
2. Zu Hause der Wörter
Es stimmt schon, das mit dem „zu Hause der Wörter“. Schon wenn man die ersten Vokabeln lernt, wird einem klar — das Wort kenne ich doch aus meiner Alltagssprache. Und plötzlich lehrt einen das Altgriechische, wo diese Wörter mal zu Hause waren. Natürlich vermuten wir das im Deutschen bei den bekannten „ph“ Wörtern schon — so was wie Amphitheater oder Philosophie kann natürlich nur aus dem Griechischen kommen (wobei das eine komplizierte Sache ist mit der Sprachgeschichte und ihren Umwegen in aller Herren Regionen der Welt ist, worin ich hier nicht einsteigen möchte). Jedenfalls kann es aber auch um die ganz kleinen Wörter wie „anti“ und „epi“ gehen. Auch diese findet man auf der Vokabelliste und merkt ganz schnell, wie vielschichtig sie eben im Altgriechischen sind, was natürlich ein Hinweis auf die Vielschichtigkeit des Denkens und des Ausdrucks der damaligen Welt ist — genau das vermittelt die Autorin ja so schön, wie eben leider die wenigsten Lehrenden auf dem Gebiet.
Für mich macht das ein Stück „Allgemeinbildung“ aus und es ist eigentlich der größte Motivator, sich der Sprache doch noch einmal zu widmen mit einer Konzentration, die ich bislang nicht aufbringen konnte. Blöd ist nur, dass man in der Theologie nur neutestamentliche Texte liest. Das ist alles schön und gut und zielführend für Theologen, aber mich interessieren, glaube ich, politische und belletristische Texte mehr. Wenn ich aber schon nicht mit dem einen „Korpus“ klar komme, den ich „beherrschen“ sollte — habe ich schon gar keine Zeit für das andere Vokabular. Ich könnte natürlich auch meinem Herzen folgen und die Literatur und entsprechende Vokabeln lernen, die mich wirklich interessieren. Dann bestehe ich aber die Prüfung schon gleich gar nicht.
Tja, auch zum Thema „Entscheidungen“ fällen hatten die lieben Griechen sicher ein umfangreiches Vokabular und, das weiß ich schon, eine Reihe von „Aspekten“, die eben die Nuancen ausgedrückt haben, ob man nun im Begriff ist, etwas zu entscheiden, schon entschieden hat, es überlegt zu tun… So viele Varianten, die man alle im Kopf haben sollte. Das Experiment dabei ist ja, ob man in dem Lernprozess wirklich ein bisschen denken und sprechen lernt, wie die alten Griechen, auch wenn die Sprache selbst eben nicht mehr gesprochen wird. Das „zu Hause“ der Worte kennen zu lernen, die wir ohnehin benutzen, ist aber schon mal ein Anfang, der Hoffnung macht, dass man mehr als Klugscheißern damit kann, sondern wirklich bewusstere Worte wählt — in der Liebe und überhaupt.
3. Streitbarkeit
Wenn es um tote und lebende Sprachen geht, war meine Wahl immer klar: tote kommen nicht in Frage — basta! Tja, und nun sitze ich da, habe bereits das Hebraicum bestanden, und „quäle“ mich mit Altgriechisch rum. Dabei muss man sagen, dass Altgriechisch sehr schnell schon seinen kleinen Reiz hatte. Den hat es auch zunehmend, obwohl ich kaum mit dem Lernen weiterkomme, da es eben durchaus lebendigere Dinge im Leben zu erfahren gibt… Worauf ich aber hinaus möchte: Vielleicht ist da etwas dran mit der „Streitbarkeit“. Altgriechisch ist ein zäher Knochen, an dem man wohl lange kauen muss, bis man wirklich auf den Geschmack kommt. Ja, bis man überhaupt irgendetwas schmeckt.
Soweit ich das bisher beurteilen kann in meinem Umfeld von Theolog/innen (wobei ich nicht wirklich sagen würde, dass das mein Umfeld ist, aber anderes Thema…), sind Menschen, die Griechisch lieben, eine eigene Gattung Mensch. Damit will ich nicht sagen, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Schließlich haben wir alle einen an der Waffel, auch das sagt die Autorin an anderer Stelle, an der sie ihre Merkwürdigkeit eingesteht (siehe unten). Sie ticken jedenfalls einfach gänzlich anders als ich. Sie lieben es, die kleinsten Nuancen von Wörtern heraus zu tüfteln, die das Altgriechische eben in der Lage ist auszudrücken wie keine andere Sprache. Da gebe ich ihr recht.
Insofern hat mir diese Passage und überhaupt das Altgriechische nun den Gedanken gebracht, dass Altgriechisch so etwas wie der Schlüssel bzw. ein neuer Schlüssel zum Verstehen von Menschen ist. Vielleicht habe ich einfach vorher noch nie genug über die Gattung „Altgriechischliebhaber“ nachgedacht und sie folglich auch nicht verstanden. Da gab es immer Punkte bei diesen Menschen, die gingen mir einfach auf den Keks — ihre Detailverliebtheit z.B., die man auch als Erbsenzählerei bezeichnen könnte oder zumindest als pedantisch (das kommt natürlich auch aus dem Altgriechischen!). Aber vielleicht ist es genau das, was mir fehlt. Mit Sicherheit ist es sogar so. Nein, ich meine nicht, dass ich unachtsam mit Sprache bin. Aber ich gehe eben einfach irgendwie anders auf sie zu und mir ihr um. Und das sind schon zwei völlig unterschiedliche Bedeutungen, auch wenn beides mit „gehen“ zu tun hat. Das ist im Griechischen dauernd so mit den Verben.
Da sieht man es — ein bisschen Altgriechisch denke ich schon!
Ob das Liebe ist oder wird?
Ich gebe dem ganzen noch eine Chance!
Enden möchte ich aber nicht mit Griechisch, sondern mit einem der schönsten Absätze in diesem Buch:
„Auch ich bin merkwürdig — sehr merkwürdig. Und ich bin ihr dankbar, meiner Merkwürdigkeit, denn sie hat mich dazu gebracht, dieses Buch zu schreiben, ohne dass es einen konkreten Anlass dafür gegeben hätte. Wie alle schönen Dinge des Lebens, ist es einfach so passiert.“ (Marcolongo 24)
Auch dieser Blog hier ist einfach so passiert. Es gab dazu keinen Anlass — keinen Kunden — keinen versprochenen „Mehrwert“. Noch immer weiß ich nicht, was mit ihm mal geschieht und ob ihn jemals mehr als eine Handvoll von Menschen lesen wird. Es ist auch egal. Wichtig ist, dass das Schreiben für mich eines der „schönen Dinge des Lebens“ ist und immer wieder einfach so passiert. Es ist eine Liebe, die mich auch mein ganzes Leben begleitet und auch begleiten wird. Was auch immer daraus wird, wird passieren, wie es eben passieren soll. Auch das hätten die alten Griechen vielleicht keinesfalls „merkwürdig“ gefunden, denn zwar hatten sie eine Zeitform für die Zukunft, aber das „wann“ war für sie zweitrangig — allein das „wie“ machte einen großen Unterschied. Und wer mit Liebe schreibt, macht sicher nichts verkehrt…
Reflexionsfragen
1) Hast Du auch schon einmal eine Fremdsprache regelrecht „geliebt“? Welche war das? Wenn nicht, könntest Du Dir das vorstellen? Welche Sprache möchtest Du gern lernen und warum?
2) Benutzt Du manchmal Wörter, bei denen Du Dich schon oft gefragt hast, woher sie kommen? Schau mal 1–3 nach. Ist da Altgriechisch involviert?
3) Kannst Du Dir vorstellen, dass eine Sprache der Schlüssel zum Denken von Menschen ist? Wann ist Dir das schon mal im eigenen Leben klar geworden? (Damit ist nicht allein die Bedeutung von Worten gemeint, sondern das ganze Sprachsystem dahinter.)