# 489: BOOK OF THE WEEK — “Warum Diversity uns alle angeht”
Geschichte hinter der Buchauswahl
Es gibt keine „Zufälle“, alles geschieht aus einem Grund — so oder so ähnlich endet auch der Autor eines der letzten Kapitel. Und es hat Gründe, warum einen Bücher in genau dem Moment finden, in dem man sie dann in der Hand hält. Der unmittelbare Auslöser ist natürlich, dass wir ein Buch „sehen“ und „kaufen“. Wir greifen zu, nachdem uns der jeweilige Titel und der Klappentext und sehr wahrscheinlich der Autor und unser Vorwissen über sie/ihn ergriffen haben. Das alles hat eine Bedingung, die wir oft gar nicht realisieren, da sie so offensichtlich ist: Wir lassen das Ergriffensein, das Angesprochenwerden von einem Buch, zu. Wir sind also offen für das, was uns da erwartet. Oder:
Wir sind Suchende.
Mich hat dieses Buch am Wühltisch der Buchhandlung im Wiesbadener Hauptbahnhof gefunden. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich es vor einigen Jahren, als ich mich viel mit Diversity beschäftigte — wissenschaftlich und geschäftlich — wahrscheinlich gekauft hätte. Dazwischen jetzt gab es eine Phase, da hätte ich es niemals gekauft. „Kenne ich schon, weiß ich schon, alles nur Schaumschlägerei und Mode mit Diversity…“ So oder so ähnlich hätte der innere (Selbst-)Ablehner das Buch im wahrsten Sinne des Wortes abgetan und liegen gelassen. Es waren die Worte, die ich so oft von anderen gehört und schließlich als meine eigenen angenommen hatte, die mich davon abgehalten hätten.
Diesmal war es anders. Ich war wieder suchend. Ich redete mir nicht mehr ein, dass ich mich schon gefunden hätte. Ja, einige Male im Leben, bei den großen Durchbrüchen, da hatte ich das große Gefühl der Freiheit schon. Aber wer diesen Blog hier und meine Gedichte liest, der spürt unweigerlich, dass Silke Schmidt schon lange wieder unruhig ist, wieder aufgewühlt, ja, wieder verloren. Doch was ich eben NICHT vermutet hatte, war, dass mich genau dieses Thema am vermeintlichen Ende eines viele Monate andauernden intensiven Prozesses aus der Bahn werfen würde. Und mit diesem Thema meine ich nicht „Diversity“ im Allgemeinen. Ich meine Buschbaums Story, ich meine Transgender,
ich meine mich.
Ich hatte natürlich schon von Buschbaums Weg gehört, hatte ihn aber nicht mehr im Detail verfolgt. Etwas in mir war immer fasziniert von jenen Menschen, die anders aussehen, als sie sich fühlen, die sich als Mann fühlen, aber im Körper einer Frau stecken — und andersrum. In den USA war mir zum ersten Mal wirklich eine Professorin begegnet, die das lebte. Und später gab es weitere. Ich war damals, 2007/8 noch ganz am Anfang meiner Reise. Ich steckte noch völlig im Concon — im selbst gebauten Gefängnis. Diese Menschen halfen mir stückweise als „Vorbilder“ heraus. Aber sie konnten es eben noch nicht ganz tun — denn egal wie viele Vorurteile und Normen ich nicht mehr im Kopf hatte — mein Verstand wusste immer, wie man sich das, was man im Herzen fühlt, wieder rationalisieren und schließlich zerreden kann. Sprich: Irgendwas in meinem Kopf ließ mich immer Gründe finden, warum „trans“ doch irgendwie gestört ist, warum man das doch irgendwie heilen müsse. Kurz und gut:
Ich sah mich selbst irgendwie als krank.
Und irgendwie auch nicht.
Und irgendwie wusste ich nie,
wer ich wirklich war
oder sein wollte.
Weil ich irgendwie alles auf einmal war
und gleichzeitig nichts.
Mein spiritueller Weg hat mir immer ein kleines Flackern gezeigt, was Freiheit und Erleuchtung ist. Manchmal dauerte der Zustand einige Wochen an. Er führte mich schließlich sogar in die Kirche — jedenfalls sehr nah. Doch diese Erwachensmomente kann man nicht herbeizaubern oder hoffen, dass man sie durch Bibellesen schneller haben kann (Geduld war noch nie meine Stärke, das verbindet mich u.a. mit Buschbaum). Jedenfalls habe ich rückblickend das Gefühl, dass es in meinem Prozess so war, wie im Leben immer — bei mir vielleicht mit noch extremeren Wellen: Je weiter ich nach vorne sprang in meiner Entwicklung, desto stärker trampelte ich dann wieder am Fleck. Oder noch viel schlimmer: Ich kroch zurück in meine Höhle.
Um das alles hier nicht so abstrakt zu halten: Klar wusste ich, dass da nicht allein lesbisch in mir war. Klar wusste ich, dass lesbisch an und für sich eh nicht richtig passte. Klar wusste ich auch von Kindheit an, dass ich sehr maskulin war — mich so fühlte, mich so kleidete, mich so verhielt. Bei einem Aspekt gab es aber immer eine Ausnahme: Je verlorener ich wieder mit mir war, desto eher habe ich versucht, “wie eine Frau” auszusehen, mich so zu kleiden, meine Haare auch mal wieder etwas länger als nur wenige Zentimeter schneiden zu lassen.
Das alles hilft natürlich nichts.
Es ist ein Maske.
Man kann sich aber manchmal nicht anders helfen.
Es gibt nur einen Weg:
ICH sein.
Völlig abseits von jeglichen Labels.
Nun sitze ich in Beirut und bin weggelaufen — vor mir, vor meiner unklaren Zukunft, vor meinem Suchen. Davor taten sich aber schon wieder viele neue Welten auf, von denen ich dachte, dass sie erst hier zu mir kämen. Trotzdem hatte das Leben eben noch eine große Keule in petto. Und diese Keule kam eben mit dem Buch. „Silke, schau mal in den Spiegel, bist Du das wirklich?“ Das sagte die Stimme schon lange zu mir, wenn ich mir z.B. noch Wimperntusche auf die Augen machte, wie ich es seit meiner Teenie-Zeit aus Routine jeden Tag machte, außer beim Laufen. Es war der Schutz. Es war das, was mir anderen ohne Worte signalisieren ließ: „Guck mal, ich bin gar nicht lesbisch oder trans oder sonstwas, ich bin doch “normal.”
Tja, scheiße, was?
Das schreibt und denkt und redet sich tatsächlich selbst eine Frau ein, die ihr halbes Studium lang etwas über Gender Studies gelernt hat, sich schließlich selbst mehr oder weniger halbherzig geoutet hat mit ihrer Liebe zu Frauen, diese aber nie wirklich gelebt hat. Was ich mich zudem schon gar nicht getraut oder gar zu denken gewagt habe: Beziehungen mit straighten Frauen zu führen. Dabei war das, wie man im Buch lesen kann, für Buschbaum und seine Partnerinnen das Normalste der Welt. Ich verstehe das gut. Ich verliebe mich auch meist in straighte Frauen. Ich weiß auch (Dank an LvdV), dass sie sich in mich verlieben. Aber meine Schranke im Kopf hat das noch nicht mal für möglich gehalten, sie wirklich zu “erobern”. Allein darüber zu lesen in Buschbaums Buch, hat eine Schranke in meinem Kopf durchbrochen — eine Tür zu meinen uralten Träumen…
Wie sehr habe ich mir selbst das Leben versagt?
Es ist hier nicht der Platz zum Jammern. Wer mich kennt, weiß, dass ich das auch nicht bin und nicht fühle und nicht ausstrahle. Mein Licht strahlt schon ziemlich hell, das weiß ich, sonst hätte ich mich vor fünf Jahren nicht selbstständig gemacht und würde so große und tiefe Erfüllung darin erfahren, Menschen zu begleiten. Aber man kann sich das Licht auch nicht heller reden als es ist. Und wenn dann wieder was schief hängt im Inneren, dann darf man sich auch als Coach und Seelsorgerin und Powermensch einfach mal erlauben, das vor allem sich selbst gegenüber zu zu lassen.
An diesem Schritt des Prozesses war ich offensichtlich soweit, denn sonst hätte ich das Buch nicht in mein Leben gelassen und alle Aha-Momente, die danach folgten. Ich habe es am Flughafen in Frankfurt vor wenigen Tagen angefangen zu lesen und seitdem quasi nicht aus der Hand gelegt. Es war seit vielen Monaten wieder ein Buch, das mich völlig in seinen Bann gezogen hat — fast wie als Kind und Jugendliche, wo Bücher zu meiner Parallelwelt — eigentlich zur wahren Welt — wurden. Ich habe jede Seite verschlungen und besonders genossen habe ich die Schilderungen über Sex. Nein, ich will hier nicht sagen, dass das Buch ein Porno ist. Buschbaum schreibt sinnlich über die Liebe, zu der eben auch Körperlichkeit gehört. Und egal, wie spirituell wir sind. Mir kann kein Mensch erzählen, dass er sich nicht nach 1) Liebe und 2) Berührung sehnt.
Sorry, liebe Selbstkasteier.
Ich habe mir das auch mal vorgemacht.
Ich glaube mir dahingehend nicht mehr.
Nun bin ich beim “Problem” angekommen, endlich irgendwie die Kurve zu den ausgewählten drei Passagen zu kriegen. Wie gesagt, das fiel diesmal noch viel schwerer als die vielen Male zuvor, in denen ich das geschrieben habe. Ich werde es aber hinkriegen, denn jedes Problem hat eine Lösung, da sind sich Buschbaum und ich auch in dem Punkt einig. Die Lösung hier wird jetzt sein, dass ich mich einfach ein bisschen mehr bei jeder einzelnen ausgewählten Stelle austobe und mehr einfließen lasse, als sie vielleicht unmittelbar verrät. Das ist ein Kompromiss, aber kein „fauler“ aus meiner Sicht. Denn auch da stimme ich mit Buschbaum überein — entweder ganz oder gar nicht, so wird man geboren, obwohl man eben trotzdem eine Art “Mitte” für sich findet.
Viel wichtiger als thematisch Balance und Leserfreundlichkeit ist mir bei diesem Eintrag, dass ich mich austoben kann — dass meine Finger frei und ungezügelt wieder über die Tastatur huschen dürfen. Das habe ich ihnen in den letzten Monaten oft verboten bzw. ging es nicht. Wann immer ich wieder innerlich am Brodeln und Hadern und Suchen bin, klappt das Schreiben nicht — es kommt mir gar nicht in den Sinn. Erst wenn der Knoten wieder einigermaßen geplatzt ist und die Energie wieder fließt, dann kommt das Schreiben ganz automatisch aus mir heraus.
Und bei dem Thema muss ich nun doch noch einen Einschub machen. Genauso wie mich Menschen mit ihren Aussagen daran gehindert haben, meine Sexualität und mein wahres Sein auszuleben (egal, wie sehr ich das vielleicht selbst behauptet habe), so haben sie mich auch vom Schreiben, meiner Berufung, abgebracht. Schreiben ist „Psycho-Hygiene… keiner liest mehr… wie willst Du denn davon leben?… Such Dir einen Job als Angestellte, dann kannst Du nebenbei als Hobby schreiben… Schreiben braucht keiner mehr, das macht jetzt AI…“ — diese und viele weitere Kommentare und Existenzsorgen haben mich schließlich „überzeugt“. Ja, welch ein Quatsch. Mach was “Sicheres”.
Gott sei Dank, bin ich vorher wieder erwacht.
Wie es konkret weitergeht,
weiß ich noch immer nicht.
Aber allein die Tatsache,
dass ich hier ohne sichere Zukunft das Leben in Beirut genieße,
zeigt mir,
dass ich wieder mehr bei mir angekommen bin.
Ich lasse kein Abenteuer im Leben aus.
Dafür bin ich nicht auf der Welt.
Und die Abenteuer lassen mich Geschichten erleben,
die es zu erzählen gilt,
damit Menschen davon berührt werden
und ihr Leben in die Hand nehmen.
Ist das nicht einfach?
Übrigens muss ich zum Reisen und dem Thema Geschlecht noch anmerken, dass ich beim Reisen immer sehr „Mann“ war. Ich habe mich nie wirklich als reisende Frau gesehen. Wahrscheinlich fand ich die Frage: „Du und allein im Nahen Osten oder in Afrika, als Frau alleine — wie geht das denn?“ Es ging immer ohne Probleme aber wahrscheinlich hatte es auch damit zu tun, dass ich mich nie so wirklich als Frau allein gefühlt habe und mich auch immer sehr im Indiana Jones Look gekleidet und gegeben. Kein Wunder, dass ich mich immer frei und ich selbst gefühlt habe, sobald das Flugzeug abhob nach irgendwo. Aber das allein war es auch nicht. Ich kann nicht sagen, dass ich komplett eine Lüge im Leben zu Haus gelebt habe. Vielmehr ist es umgekehrt. Die Menschen um mich herum sehen mein wahres Sein und auch meine Geschlechterundefiniertheit — meine Androgynität. Sie lieben mich so wie ich bin. Nur ich selbst hatte noch Schubladen im Kopf — wollte zum Einen oder Anderen gehören, um jeden Preis.
Der Preis ist Glück, Freiheit und damit
LIEBE.
- Frauen
Mir ist klar, dass derartige Aussagen bei manchen fast „machohaft“ rüberkommen mögen. Der Mann als Beschützer — das erinnert an die Zeit von Jägern und Sammlern. Das ist hier gar nicht so gemeint, und doch irgendwie auch schon. Man kann es eben nur so erklären, wie es Buschbaum hier tut. Es macht einen Unterschied, ob man sich als Mann in eine Frau verliebt oder als Frau. Wenn ich mich daran erinnere, wie ich als Kind Filme und Serien rauf und runter geschaut habe, dann kann ich mich nur daran erinnern, dass ich die Frauen meist aus Sicht der Männer gesehen habe. Ich wollte auch gern der Mann sein, der die spannende Frau an der Seite begleitet oder eben auch „beschützt“. Und genauso wie bei Buschbaum ging das früh los. Meine erste Liebe war meine Kindergärtnerin, später kamen weitere geträumte Liebschaften im Laufe meiner Schulzeit dazu. Natürlich war mir das damals noch nicht bewusst, was das genau war und dass das irgendwie anders war. Im Nachhinein weiß ich aber genau, was ich damals empfunden habe.
Wenn Buschbaum von Männern und Frauen schreibt, dann geschieht das nicht stereotyp oder schwarz-weiß, auch wenn ich mit ihm übereinstimme, dass diese Farben bereits das ganze Spektrum abdecken. Es geht auch nicht darum, dass Buschbaum das Weibliche in sich leugnet, gerade wenn es um Empathie geht. Es geht einfach nur darum, dass schon immer was anders war, etwas männlicher. Natürlich hat die Hormonbehandlung und der körperliche „Umbau“ das vollends ins Männliche verwandelt. Aber ein großer Teil war eben immer schon da. Und unsere Sprache kann eben nur diese Dinge einigermaßen umschreiben, indem wir eben die Worte männlich und weiblich verwenden, auch wenn wir uns gesellschaftlich aktuell Mühe geben, daran etwas zu ändern. Konzeptionell braucht unser Gehirn immer Gegensätze, die zunächst dichotom und stereotyp sind, um einigermaßen unterscheiden und ordnen zu können.
Etwas, das Buschbaum auch in diesem Buch eingangs und auch im Verlauf des autobiographischen Teils macht, der ursprünglich das Buch „Blaue Augen bleiben blau“ war, ist, theoretisches und wissenschaftliches Hintergrundwissen einzubauen. Das kommt nicht besserwisserisch rüber. Es ist aber, denke ich, für Leser/innen wichtig und hilfreich, damit sie erkennen, dass dies zwar eine subjektive Einzelschilderung ist, dahinter aber ein ganzer Forschungsbereich liegt, der sich mittlerweile in vielen sehr unterschiedlichen Fächern und methodischen Zugängen mit dem Thema Gender auseinandersetzt.
Ich selbst habe erst vor einigen Monaten wertschätzen gelernt, dass diese Forschung wirklich praktischen Lebenswert hat. Jemand in meinem erweiterten beruflichen Umfeld kämpft mit der Entwicklung seiner Tochter zum Mann. Er ist verloren. Er weiß schlichtweg nichts darüber. Ja, wir alle kennen derartige „Fälle“ vielleicht aus der Zeitung oder Fernsehdokus. Aber sobald die eigene Tochter sagt: “Papa, ich will in Zukunft nicht mehr Petra sondern Peter von Dir genannt werden und überhaupt als Dein Sohn anerkannt und geliebt werden”, sieht die Sache ganz anders aus. In dieser Situation war ich zum ersten Mal glücklich über meinen Bildungsweg und meinen fachlichen Hintergrund, welcher mich eben früh mit Gender Studies und entsprechender fiktionaler und non-fiktionaler wissenschaftlicher Literatur in Berührung kommen ließ.
Und, ja, da sind sie wieder — die Bücher, die mein Leben geprägt haben.
Ich weiß nicht, ob der Mann meine Literaturtipps an den Sohn weitergegeben oder sie selbst gelesen hat. Es ist nur im Rückblick interessant, dass sich gerade in den letzten Wochen und Monaten derartige Situationen, in denen ich mit dem Thema konfrontiert wurde, gehäuft haben. Ich habe dann immer aus wissenschaftlich sachlicher Perspektive Wissen beigetragen. Aber wirklich herangelassen habe ich das alles nicht an mich, auch wenn die Zeiten wieder hochkamen, in denen mich das alles wirklich fasziniert hat. Trotzdem habe ich es nicht öffentlich vertreten. Trotzdem war allen immer klar, dass mit mir in der Hinsicht auch was “anders” ist. Nur ich selbst konnte dazu nicht öffentlich stehen und geschweige denn offen darüber reden.
Und mit alledem meine ich nicht, dass ich fortan nun die „Trans-Welle“ oder was auch immer reiten werde. Gerade darum geht es ja — Buschbaum und mir. Es ist an der Zeit zu verstehen, dass wir alle Diversität in uns tragen und die Welt eine andere wäre, wenn wir uns alle von den Zwängen befreien würden, die unseren wahren Kern einschnüren. Dabei kann es um vermeintliche Kleinigkeiten gehen, die gar nichts mit Geschlecht, Sexualität oder irgendwelchen „Disabilities“ zu tun haben, wie viele immer Diversity verstehen. Es geht darum, heraus zu finden, wer man ist und wie man leben möchte und das völlig ungeachtet irgendwelcher äußerlicher und innerlicher Zwänge durch zu ziehen.
Ja, den Weg muss man am Ende allein gehen.
Aber ja, Buschbaum und auch ich können sagen,
dass wir von lieben Menschen begleitet werden,
allen voran unseren Familien.
Auch da ist nicht immer eitel Sonnenschein.
Aber das muss auch nicht heißen,
dass da was schief gelaufen ist.
Das habe ich mir auch lange versucht einzureden,
als mein Verstand mich selbst mit Nadeln durchlöchert hat.
Das ist Quatsch, aber der Prozess war trotzdem nötig.
Alles passiert schon aus einem Grund…
2. Kämpfen
Über diese Passage musste ich nachdenken und gehe hiermit virtuell mit Buschbaum und allen anderen in den Dialog darüber. Sport hat Buschbaums Leben geprägt — vor der Transition und danach. Das ist nur natürlich. Es gibt kaum etwas, das einen Menschen so prägt. Es gehört zu einem, man kann nicht ohne. Vielleicht ist das auch etwas Männliches, das ich von Kindheit an in mir trage. Ich habe den Wettkampf immer geliebt. Ich wollte immer gewinnen. Ich wollte immer besser werden. Natürlich war da auch immer etwas in mir, das wollte dadurch vielleicht andere Dinge „verdrängen“. Andererseits war ich da ganz „ich“, bevor ich überhaupt wusste, dass dieses Ich irgendwie noch einen weiten Weg vor sich hat. Ich habe immer mit den Jungs gespielt. Nicht, weil ich immer mithalten konnte, sondern weil ich allein durch das Training mit ihnen besser war als alle Mädels, die irgendwie eh immer weniger mit Bällen anfangen konnten (damit meine ich die aus Leder und anderen Materialien zum Sport, nur um Missverständnissen vor zu beugen… ;o)).
Warum aber habe ich darüber nun nachgedacht? Ganz einfach. Mein langer und recht spiritueller Weg hat mir gezeigt, was Kampfgeist anrichten kann. Am Ende hängt damit immer zusammen, dass man gegen sich selbst kämpft — ob jetzt psychisch oder körperlich. Und je mehr ich über unterschiedliche spirituelle Lehren gelesen und sie verinnerlicht habe, lernt man, dass das Leben ein Fluss ist. Die Welt — Gott — will uns etwas sagen, wenn wir dauernd gegen die Wand rennen und uns abmühen, dabei selbst kaputt machen. Wie aber unterscheiden wir die „Ziele“, von denen Buschbaum schreibt, für die sich der Kampf lohnt und für die er sogar nötig ist, z.B. im Sport, von jenen, die uns fertig machen, die uns eine andere Richtung zeigen wollen?
Das ist die Kunst, die ich noch nicht wirklich erlernt habe — nicht in jedem Moment. Wenn man so im Kämpfermodus ist, dann kämpft man für alles, nur um seinen Selbstwert, seine Identität, aufrecht zu erhalten. Und wenn man sich ohnehin schon hässlich oder irgendwie „unnormal“ fühlt, dann ist der Kampfgeist und das Gewinnen das Einzige, was einen selbst noch einigermaßen glücklich in den Spiegel schauen lässt. Das alles aber ist Ego! Es hat nichts mit „bei sich“ sein zu tun. Es hat nichts mit „einfach SEIN“ zu tun. Und es ist immer die Logik dahinter: Ich muss gewinnen oder zumindest gekämpft haben, damit ich geliebt werde —
und zwar von mir selbst.
Tja, wo ist nun die Antwort? Sollte man für seinen eigenen Weg kämpfen, wie es Buschbaum getan hat, der aber auch irgendwann aufgehört hat, für sportliche Siege mit der unermüdlichen Härte zu kämpfen, die ihn einst ausmachte? Wann versteht man, was überflüssiger und schädlicher Kampf ist und was einfach nur Hürden auf dem „richtigen“ Weg zu sich selbst? Ich habe dazu nur eine Antwort, die wahrscheinlich auch Buschbaum geben würde: die innere Stimme. Unsere „Intuition“ weiß, was der richtige Weg ist und folglich auch, wo wir unsere Energie mit Kampfgeist investieren sollten. Die Sache ist nur, dass man einigermaßen „bei sich“ sein muss, um diese Stimme klar zu hören.
Das ist nicht immer leicht.
Aber zum Glück bringt das Leben einen immer wieder dazu,
die Stimme noch klarer zu hören.
Und manche von uns,
sind doppelt beseelt mit dieser Gabe.
3. Seelen lesen
Buschbaum müsste diesen Absatz hier gar nicht geschrieben haben, damit man als Leser/in weiß, dass es so ist. Die Tatsache, dass jemand so vielschichtig seine eigene Persönlichkeit und die seiner Mitmenschen wahrnehmen und beschreiben kann, ist „Zeugnis“ genug. Trotzdem möchte ich die Passage hervorheben, da ich denke, dass dies wirklich auch eine Fähigkeit ist, die bei Menschen ausgeprägt ist, die männlich und weiblich in der Tiefe und mit diesem Grad der Bewusstheit, in sich vereinen und auch leben. Nicht umsonst ist es in einigen spirituellen Traditionen sogar das explizite Ziel, die männliche und weibliche Energie in sich so zu vereinen und zum Vorschein zu bringen, dass dies „Erleuchtung“ gleicht (siehe z.B. Tantra). Auch die Amerikanischen Ureinwohner (Native Americans) kennen ein drittes Geschlecht, das nicht umsonst „verwestlicht“ als „Two Spirits“ bekannt ist — Menschen also, die die weibliche und männliche Seele vereinen und die daher hoch geschätzt sind aufgrund ihrer Fähigkeiten, die Nähe zum Göttlichen zu leben und heilende Kräfte zu entwickeln.
Wir in Deutschland und anderen vermeintlich „entwickelten“ Ländern können davon nach wie vor noch sehr viel lernen…
Worauf ich hinaus möchte: Ich glaube mittlerweile, dass „wir“, die mit dieser Identität gesegnet sind, tatsächlich von Beginn an diese Gabe in uns tragen, die Welt und vor allen Dingen die Seelen anderer Menschen und ihre wahren Emotionen intuitiv zu lesen. Das bringt uns so lange Schmerzen ein, bis wir lernen, es als Stärke anzunehmen und sich abzugrenzen. Man weiß ja auch nach wie vor nicht, ob Hochsensibilität nun angeboren oder erworben ist, auch als Folge von Traumata entstehen kann. Fest steht aber, dass wir, um diese Gaben zu haben, eine besondere Verdrahtung im Hirn und meist sehr hohe Intelligenz brauchen, um das überhaupt auszubilden. Und all das ist uns eben gegeben. Ja, aufgrund unseres Lebensweges und den Verletzungen, die viele Menschen erleiden, die irgendwie nicht „der Norm“ entsprechen, lernen wir, dahingehend noch sensibler zu sein — wir schulen unsere Antennen. Aber für mich steht auch fest, dass vieles davon schon immer da war und wir es dann erst, wenn wir uns aus dem Concon befreit haben, auch wirklich leben und nutzen können.
Wenn ich von „Nutzen“ spreche, so ist das eng mit dem Thema Berufung verwandt, das mich ja mein Leben lang schon umtreibt. Auch bei Buschbaum ist das so. Und die Wege führen bei Menschen, die all diese Emotionen in der Tiefe in sich tragen, bei anderen erkennen und schließlich auch produktiv nutzen können, meist zu „Menschenberufen“. Sobald man diese Liebe in sich spürt, möchte man nur noch eines: sie weitergeben. Das heißt dann also, dass man einen Beruf braucht, der einen mit den Menschen zusammen bringt, die genau das auch wollen und brauchen. Teils bringt einem das Universum diese Menschen ganz von selbst, weil man genau diese Energie ausstrahlt, die man nur hervorbringt, wenn man bei sich, wenn man ganz frei ist von allen Zwängen. Andererseits gibt es auch immer sehr praktische Dinge bei all dem „Gabenreichtum“ zu beachten, da es am Ende des Tages oft nur den Weg der Selbstständigkeit gibt. Denn alles andere schließt sich einfach irgendwie aus, wenn man so weit ist.
Ja, unsere Berufung findet uns, wenn wir Geduld haben…
An diesem Punkt war ich mal und bin es wieder. Der Rest wird sich zeigen. Was ich nur definitiv nach all der bereits geleisteten „Menschenarbeit“ sagen bzw. bestätigen kann: Das Äußern dieser klaren Sicht auf die Menschen kann bei ihnen Dinge auslösen, die man selbst kaum für möglich hält. Für einen selbst ist es das einfachste der Welt, in die Seele hinter der körperlichen Hülle zu schauen — den Schmerz hinter dem Lächeln zu erkennen und auch das innere Strahlen hinter der vermeintlichen Ernsthaftigkeit. Aber das Aussprechen bewirkt etwas, das tatsächlich etwas Spirituelles hat. Das Gegenüber erkennt plötzlich, dass man selbst es erkennt — dass also alle Schutzhüllen weichen können, da sie überflüssig sind. Das ist magisch und wirklich erfüllend. Und genau das kann man aber nur ohne Angst und ohne Ego leisten, wenn man so weit ist wie Buschbaum und viele andere, die der inneren Stimme gefolgt sind. Ist man nicht da und äußert von einer anderen Energieebene derartige Beobachtungen, kann man damit viel kaputt machen. Das ist der schmale Grat zwischen Himmel und Hölle, der eben angesichts des Labels „Coach“ beim Wort allein nicht auszumachen ist. Leider finde auch ich bislang keine passendere Bezeichnung. Und spiritueller Lehrer ist definitiv ein bisschen “too much” — zumal ich nie Lehrerin sein wollte…
Nun bin ich an dem Punkt, wo ich noch ewig weiterschreiben könnte, aber ich lasse es. Dieser Eintrag ist schon jetzt länger geworden als geplant. Das macht aber nichts. Ein bewegendes Buch verdient eine bewegende Auseinandersetzung, die nun hier auf dem virtuellen Papier gelandet ist. Ich wünsche mir, genauso wie Buschbaum, dass dieses und viele derartige Bücher die Menschen erreichen, die sich danach sehnen, ihr ICH zu leben. Wir tun das meist automatisch schon, aber wir tun es unbewusst, in Scham und ohne Lebensfreude. Es klingt banal, aber genau deshalb brauchen wir „Vorbilder“. Ja, der Glaube an Gott und das Schicksal, das uns durch die Dunkelheit ins Licht führen wird, ist gut und wir, die wir auf die innere Stimme hören, haben dieses (Ur-)Vertrauen. Aber gerade zur wirklichen Spiritualität gehört auch Bodenständigkeit. Und das heißt, wir brauchen als Menschen im Hier und Jetzt auch konkrete Beispiele, die unserem Verstand zeigen, dass das, wovon wir träumen, wirklich möglich ist, auch wenn wir wissen, dass unsere Träume und unser Leben einzigartig sind und bleiben.
Ich möchte mit einem Zitat enden, das Buschbaum einem seiner Kapitel voranstellt. Auch hier fiel die Auswahl schwer, denn ich kann mich mit fast allen Zitaten „identifizieren“ und verwende sie teils selbst oft. Dieses hier ist mir aber deshalb wichtig, weil es eine Klammer um diesen Post setzt — ja, um das Buch an sich. Wer dieses Buch liest, kommt Buschbaum nahe. Man liest das Buch nicht, man fühlt es und damit auch sich selbst vielleicht ein Stück besser. Und ich motiviere jeden, sich genau auf diese Reise zum Fühlen zu machen. Unser Verstand hat seine Berechtigung und auch sehr viel zu melden. Aber wenn wir aufhören, nur mit den Augen zu sehen, sondern mit dem Herzen zu spüren, vor allen Dingen die Menschen um uns herum, dann beginnt das freie Leben in tiefer Liebe und Dankbarkeit.
„Besondere Menschen erkennt man nicht, man fühlt sie.“ — Buddha (qtd. in Buschbaum 337)
Reflexionsfragen
1) Frag Dich ehrlich: Hast Du schon mal Phantasien gehabt, mit jemand Deines Geschlechts zu schlafen oder hast Dich gar in eine Person Deines Geschlechts verliebt? Wenn ja, wie bist Du damit umgegangen? Wenn nein, was würdest Du sagen, wenn Dir Dein bester Freund/Deine beste Freundin von einer solchen Situation erzählen würde und Dich verwirrt um Rat fragt?
2) Wie unterscheidest Du Ziele, für die Du Dich zum Kämpfen entscheidest und andere, bei denen Du bewusst nicht kämpfst? Was hilft Dir dabei, diese Unterscheidung zu treffen — ist sie bewusst oder eher unbewusst?
3) Glaubst Du daran, dass unsere Seelen nichts oder nur sehr wenig mit unserem Körper zu tun haben? Kennst Du Menschen, von denen Du sagen würdest, sie können in die Seele anderer schauen?