# 482: BOOK OF THE WEEK — “Peter F. Drucker”

Silke Schmidt
13 min readAug 6, 2023

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Paschek, Peter (2020). Peter F. Drucker: Erinnerungen an einen konservativ-christlichen Anarchisten.

Geschichte hinter der Buchauswahl

Dieses Buch hat mir Schmerzen bereitet — und unglaubliche Freude. Wie kann das sein? Der Schmerz rührt daher, dass das Buch seit einem Dreivierteljahr in meinem Regal steht und mich anschaut. Ich hatte dem Autor versprochen, darüber zu schreiben. Es war ein Geschenk — im wahrsten Sinne des Wortes. Da schickte mir jemand, den ich persönlich noch heute nicht kenne, ein Buch in den Briefkasten. Und ich lasse es einfach so liegen — unberührt, ungelesen und unbeschrieben. Das tut mir leid. Aber dieser Satz, „es tut mir leid“, ist eine Phrase. Wir benutzen ihn manchmal sehr beiläufig bei Banalitäten. Andere Male hat er tiefe Bedeutung. Manchmal sagen wir den Satz, wenn wir aus Versehen jemanden im Bus anrempeln. Genauso sagen wir ihn, wenn jemand gestorben ist und wir unsere Anteilnahme nicht anders ausdrücken können als eben mit diesen vermeintlich banalen Worten.

Sprache ist eben sehr begrenzt, trotz allem.

Auch das lernt man aus diesem Buch.

Genauso wie die Freude am Schreiben von Worten.

Mir tat es also leid, dass ich diesen mir noch unbekannten Autor und Drucker-Liebhaber, der wir beide sind, bis heute enttäuscht habe. Rückblickend muss ich sagen, ich konnte wohl nicht anders, ich war nicht bereit. Natürlich hatte ich so mancherlei innere Ausreden (keine Zeit…, andere thematische Interessen… Du musst nicht alles immer gleich machen…). Das stimmte alles, und doch stimmte es nicht. Das hat mit meiner Story zu tun — und die ist mit Drucker verwoben. Genau wie der Autor Peter Paschek „liebe“ ich Drucker; wie man einen Menschen eben lieben kann, den man nur aus Büchern kennt. Jedenfalls resultierte genau diese Liebe darin, dass ich einen wesentlichen Teil meiner Habilitation/meines letzten Buches (siehe ausführlicher Review zu Narrative Change Management in American Studies hier) Druckers Werken widmete. Ich hätte noch ein ganzes Buch über ihn schreiben können….

Nun könnte man sagen: „Toll, wo ist das Problem? Wo kommt der Schmerz her?“ Die Antwort ist einfach: Dieses Buch wurde meine Abschiedsvorstellung (jedenfalls bislang) aus der Uni. Ich habe als Geisteswissenschaftlerin eine Arbeit über Management geschrieben. Damit disqualifiziert man sich, man spielt sich selbst ins Aus, jedenfalls in Deutschland. Und ich habe sogar einen langen Teil über Druckers Vita geschrieben, der schließlich in einem der Gutachten angekreidet wurde, obwohl es der mir wichtigste Part war (Credo: “Wen interessiert die lange Lebensgeschichte von diesem Menschen? Was hat das mit seinem Buch zu tun?”). Kurzum, an meiner Liebe zu Drucker hat sich nichts geändert, aber seit ca. fünf Jahren, dem Abschluss meiner Habilitation nämlich, habe ich nichts mehr von ihm gelesen. Überhaupt habe ich keine “Managementliteratur” mehr gelesen. Alles hätte mich daran erinnert, dass ich zwar irgendwie mit meiner Arbeit — mit meinem Sein — in seine Fußstapfen getreten bin. Aber im Gegensatz zu ihm, habe ich mich disqualifiziert.

Ich will hier nicht auf die Tränendrüse drücken. Ich will nur einfach und ehrlich beschreiben, warum ich das Buch einfach noch nicht in die Hand nehmen konnte. Dabei erinnere ich mich an die Freude, welche mir diese Überraschung letzten Winter beschert hat. Wir wurden „vernetzt“ durch jemanden in der Uni. Dieses Uni-Meeting führte bis heute zu noch gar nichts (was angesichts des Themas „Effective Management“ in deutschen Universitäten kein Wunder ist). Aber ich wurde von meinem Gegenüber sofort erinnert, dass da ein Mensch sei, der genauso Drucker-verrückt sei wie ich. Und letztlich ist das mir viel wert. Die Menschen, die wir treffen, berühren unser Leben und damit unsere Zukunft. Also beschwere ich mich nicht. Ich freue mich im Gegenteil, dass ich mich heute überwinden konnte und das Buch in die Hand nahm.

Dieses Buch habe ich in wenigen Stunden wie ein Staubsauger in mir aufgesogen — Seite für Seite, wie einen Roman. Allein deshalb schulde ich dem Autor tiefen Dank. Mich hat seit Langem kein Buch mehr so versinken und die Freude am Denken wieder spüren lassen. Dabei könnte man meinen, dass jemand, der selbst ein Buch zu Drucker geschrieben hat und nahezu all seine Bücher gelesen hat, doch sicher so ziemlich alles über ihn weiß. Und genau darin liegt die weitere Faszination an diesem Buch von Peter Paschek. Er lässt uns oder zumindest mich Druckers Denken noch einmal anders erfahren. Er gibt uns Einblicke in sein eigenes Denken und Reflektieren und Neukennenlernen von Peter Drucker. Und er setzt Drucker in den Dialog mit anderen Denkern, die wiederum Drucker selbst und Paschek, sowie seine Leser, geprägt oder zumindest inspiriert haben.

Nun drohe ich in eine Lobeshymne abzurutschen, ohne auch nur einleitend auf den Inhalt eingegangen zu sein. Das ist so. Ich werde hier auch nicht vertiefend in die Inhalte einsteigen, denn dann würde dieser Blogbeitrag in einem eigenen Buch enden. Ich möchte nur sagen, dass es mir diesmal erneut schwer gefallen ist, drei Passagen für meinen Beitrag hier auszuwählen, da mich auf jeder zweiten Seite etwas tief angesprochen hat (zu sehen an den zahlreichen Eselsohren unten). Das heißt für mich auch, dass nach diesem Post hier das Buch nicht weggelegt wird. Ich habe zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder das Gefühl, dass ich “wissenschaftlich” recherchieren, denken und schreiben will — vor allen Dingen über Drucker als „Christen“ und seine geistige Auseinandersetzung mit Friedrich Julius Stahl. Beides war mir neu, genau wie ich viele neue Dinge trotz meines Vorwissens gelernt habe. Ich wusste nich, dass Drucker mal Religion unterrichtet hat. Ich wusste nicht, dass seine Frau so eine Säule und ebenfalls „Workaholic“ (im positiven Sinne) war. Ich kannte auch viele Nuancen zum Thema Management als Liberal Art nicht.

Ansicht meines Buches nach dem Lesen. Je mehr Eselsohren, desto mehr Inspiration (der Autor möge es entschuldigen und als höchstes Kompliment auffassen…)

Was ich nur sagen möchte: Ich werde hier heute nicht vertiefend auf das Thema „Drucker und Christentum“ eingehen. Das wird mich aber, so mein Gefühl, noch beschäftigen. Nur um es klar zu machen: Paschek macht Drucker nicht plötzlich zum Theologen oder Kirchenmenschen, nur weil das Adjektiv „konservativ-christlich“ im Titel vorkommt. Es wird in einem der ersten Kapitel sehr klar und nachvollziehbar in Abgrenzung zum konservativen Christentum definiert, unter ständiger “Untermalung” mit Druckers eigener Stimme dazu. Wenn ich es aus meiner heutigen Perspektive als angehende Theologin lese, dann ist das Thema trotz allem kein Randthema und auch keines, was nur zum Buchverkauf dient. Vielmehr ist es eine sehr griffige und nach der Lektüre zutreffende Beschreibung für Druckers Denken, die so aus meiner Sicht noch niemand herausgearbeitet hat. Und das hängt genau damit zusammen, dass die beiden Peters (Drucker und Paschek) eben nicht nur einander gelesen und miteinander gearbeitet haben. Sie waren Freunde. Das macht einen riesigen Unterschied und es zeigt mir, dass Worte eben doch ihre Begrenzung haben, solange sie nicht hinterfragt werden.

Bevor ich nun endlich auf die Passagen komme, möchte ich genau noch auf diesen Aspekt der Worte als des Intellektuellen „Werkzeug“ eingehen. Ein großer Teil des Buches ist, implizit und vielfach explizit, der Frage gewidmet, was ein Intellektueller ist. Drucker selbst hat dieses Label ohnehin abgelehnt und zog den Begriff des “Sozialökologen” vor — auch das war mir neu. Schubladendenken war jedenfalls nicht seins. Für mich ist es trotzdem ein Segen, dass das Buch dem Thema so viel Platz gibt. Für mich ist es noch immer ein „Kampf“, mein eigenes Denkertum anzunehmen. Und das Wissen, dass Worte im Grunde alles sind, was man als “Intellektueller” hat, als „Schreibender“, ist manchmal nicht sehr tröstlich. Das Buch zeigt, wie selbst ein enger Freund die geschriebenen Worte des anderen so manches Mal nicht unbedingt miss- aber doch minderverstehen kann. Und genau deshalb war und ist der persönliche Dialog, den die Peters hauptsächlich per Fax und persönlich hatten, unersetzlich — ebenso unersetzlich wie eben Peter Drucker in der Welt der Denker so vieler Disziplinen innerhalb und außerhalb der Akademie.

„Der Intellektuelle verfügt — so Drucker — über die Macht der Sprache und Macht geht für ihn einher mit Verantwortung. Die Verantwortung des Intellektuellen (Drucker nennt ihn, wie erwähnt, Sozialökologe) liegt in der Aufgabe, ‚to create right action‘, d.h. ‚his job is not to create knowledge. It is to create vision. He has to be an educator.” (Paschek 181)

  1. Musen
Paschek 12

Wer in der wissenschaftlichen Welt unterwegs ist oder war, weiß, wie viele “Pseudo-Musen” es da gibt. Viele davon wollen einen permanent zwangsküssen. Andere wiederum gehen davon aus, dass man auch schon im Vorbeigehen gar nicht anders kann, als ihren unnachahmlichen Geist einzuatmen. Ich übertreibe hier natürlich bewusst, aber nicht umsonst wurden in der Geschichte so viele Bücher über den wissenschaftlichen Habitus verfasst, der übrigens auch Drucker völlig fern lag. Worauf ich hinaus will: Das Buch beginnt mit der schönen und detailliert geschilderten Geschichte der Freundschaft zwischen den beiden Peters und später auch ihren Ehefrauen. Und genau das macht den Unterschied. Es ist anders. Es geht nicht los mit einem knappen Vorwort nach dem Motto: „So und so lernte ich Drucker kennen, wir waren befreundet, das ist die Grundlage des Buches…“ Nein. Die Wurzeln der Freundschaft werden beschrieben und verästeln sich sozusagen durch das ganze Buch hinweg.

Dieses Buch bündelt mehr als “Erinnerungen”.

Es ist ein fortwährender Dialog mit Drucker,

an dem man sich als Leser/in beteiligen darf.

Besonders schön finde ich hier den Ausruck der „Muse“. Er ist etwas aus der Mode gekommen heute. Künstler und Kreative wissen aber sicher, wovon hier die Rede ist. Man kann nur schreiben oder malen oder sonst irgendwie aus sich heraus sprudeln — kreieren (das ist schon biblisch…) — wenn man berührt wird; wenn jemand oder etwas einen nicht loslässt innerlich, wenn so viele Worte und Gedanken sich im Kopf kreisen, dass sie aufs Papier oder die Leinwand müssen, jedenfalls nachdem sie mehrere Runden gedreht und schließlich in gewisser Weise destilliert und zu etwas Neuem wurden.

Das gelingt nicht jedem Menschen.

Ich finde es ermutigend zu sehen, dass Paschek an dieser Stelle seinem Gespür gefolgt ist und den Mut hatte, Drucker zu „hinterher zu laufen“. Das klingt etwas nach Stalking, aber es ist eben eine Mischung aus Wille und Handeln und dem Gefühl, dass da ein Mensch ist, der einen irgendwie weiterbringt. Und dabei geht es eben NICHT im platten Sinne um dieses Sich-Anbiedern, was man bei diversen Management- oder sonstigen “Events” sieht, wo junge glatt gegelte Anfang-20er im marinefarbenen Boss-Anzug sich um einen Speaker tümmeln und unbedingt seine Email wollen, um sich die Karriere bei einem renommierten Beratungshaus zu sichern (ich war seeeeehr lange nicht mehr bei solchen Events, aber würde mich wundern, wenn sich daran etwas geändert hätte). Nein, es geht um etwas Tieferes — eine Art „Meister-Schüler-Verbindung“, die aber schon sehr schnell in einen intellektuellen Austausch auf Augenhöhe mündet. Das gibt es noch und das gab es eben bei Peter Paschek und Drucker auch.

Wohl dem, der sich selbst ein Gespür für Menschen zutraut

2. Universitäre Bildung

Paschek 152–53

Ich habe lange überlegt, ob ich diese Passage zu den Universitäten aufnehmen sollte. Zu groß war die Gefahr, hier in einem Bashing zum Status Quo der universitären Bildung in Deutschland auszuarten. Das habe ich an anderen Stellen zur Genüge getan und auch hier in meiner Einleitung ansatzweise berührt. Trotzdem möchte ich kurz ein paar Sätze dazu verlieren, denn schließlich war Druckers Wirkungsstätte die Universität, auch wenn er gleichsam beratend in/mit der Praxis gearbeitet hat. Er war einer der Ersten, die den „Wissensarbeiter“ im Detail beschrieben haben; basierend auf der Notwendigkeit, die moderne Gesellschaften für das Funktionieren von Staat und Wirtschaft haben. Und eben weil er nicht nur „Illusionär“ sondern “Realist” war (auch diese Labels würde er sicher hinterfragen oder abwehren — zurecht), wusste er auch, dass diese Knowledge Workers irgendwo ausgebildet werden müssen. Und genau da liegt das Problem, wie es oben in den Absätzen beschrieben wird.

Leider wurde es bislang nicht ansatzweise gelöst —

auch nicht in einem reichen Land wie unserem,

das seine geistigen Eliten weiter ungehindert ins Exil wandern lässt.

Ich möchte darauf hier nicht weiter eingehen. Stattdessen möchte ich einen neuen Gedanken einwerfen, der mir so noch nicht gekommen ist, auch wenn ich ein ganzes Buch über Wissenschaftsmanagement im weitesten Sinne geschrieben habe. Aber ich habe mir noch nie die Frage gestellt, ob Drucker sich jemals auch um universitäres Management gekümmert hat. Die Art und Weise, wie Universitäten gemanaged werden, hat einen maßgeblichen Einfluss auf ihre Leistungsfähigkeit und damit auch auf das, was in welcher Weise gelehrt wird. Natürlich sind wir da wieder beim Clash der Kulturen zwischen Management und Forschung, zwischen Generalisten und Experten (Paschek 125). Doch für mich bleibt diese Frage spannend: Hat er sich mit “Research Management” auseinandergesetzt (abseits seiner eigenen universitären Tätigkeit), bevor es so wirklich als “Branche” bekannt wurde, zumindest in Deutschland? Würde ein Drucker heutzutage eine Universität beraten?

Ich vermute, zumindest bei letzterer Frage, wäre die Antwort heute ein “ja”. Er würde sicher sehen, welch hohen Bedarf die Gesellschaft nach Menschen hat, die zumindest annähernd dem breit gebildeteten Manager entsprechen, den Drucker sich wünschte. Wo genau diese heute ausgebildet werden, bleibt auch für mich fraglich. Ich sehe sehr innovative Hochschulen, die wirklich (nur) gen Praxis denken. Und ich sehe sehr veraltete Volluniversitäten mit kleinen aber wertvollen Randfächern, die zwar wahnsinnig bereichernd für die Gesellschaft wären, die jedoch schlichtweg bzgl. ihrer Angebote in der Vergangenheit stecken geblieben sind.

Daran kann ich aktuell nichts ändern — außer immer wieder darüber zu schreiben.

3. Renaissance Man

Paschek 167

Ein Renaissance Man ist ein Vielgelehrter. Den Begriff gibt es heute kaum noch, genauso wenig wie es die Menschen noch gibt, die den Begriff im wahrsten Sinne des Wortes verkörpern. Das genau ist und bleibt der Punkt, der mich auf Drucker gebracht und von da an niemals losgelassen hat. Und in diesem Buch habe ich noch über so manches neue Wissensgebiet gelernt, von dem ich nicht wusste, dass es zu Druckers Spektrum gehörte — wobei das eigentlich widersinnig ist, denn bei einem Menschen wie Drucker müsste man eigentlich eher umgekehrt fragen: Gab es etwas, das ihn gar nicht interessiert hat?

Seine Frau Doris würde wohl antworten: “Ja, Klamotten…”

Als ich diese Passage oben gelesen und wild unterstrichen habe, kam Freude und Leid zugleich in mir auf. Die Freude rührte daher, dass ich das so gut nachvollziehen kann. Als Mensch, der in seinen Ideen lebt, diese aufschreibt und mit der Welt teilt, in Praxis und Theorie, wird einem nicht langweilig. Man ist im wahrsten Sinne des Wortes inspiriert und beseelt. Man lebt ein Stück weit in seiner eigenen (Gedanken-)Welt. Diese ist zunächst unantastbar. Des Menschen “Ideenwelt” ist sein Himmelsreich, könnte man sagen… Gleichsam war Drucker eben ein „Mann von Welt“, der in der Welt lebte und seine Gedanken in so klarer Sprache teilte, dass eben genau Manager von ihm fasziniert waren und profitierten, die ansonsten eher dafür bekannt sind, dass sie abseits von „Machen“ kein theoretisches „Gelaber“ dulden.

Traurig macht mich nur, dass es dafür kaum mehr Wertschätzung gibt. Beziehungsweise gibt es sie vielleicht, aber die Regel ist es nicht. Wie Paschek an anderer Stelle auch sehr treffend zu Druckers Beschreibung des Managers als Humanisten/Liberal Arts Kenner beschreibt, war Drucker sehr klar, dass es sich dabei um einen Grenzgang handelt. Man ist in zwei Welten unterwegs — der geistigen Welt der Wissenschaft und der praxisorientierten des Managements. Mein Eindruck ist leider nicht, und Paschek widmet das Ende des Buches auch einem Resumé zum Stand der Umsetzung von Druckers Ideen, dass diese fachliche und kulturelle Mehrsprachigkeit an Bedeutung gewonnen hat. Ich teile absolut mit Drucker, dass der Bedarf besteht, gerade weil ich Management aus gesellschaftlicher und politischer Perspektive „lese“ und dringenden Bedarf für verantwortliches Handeln mit einem „Big Picture“ Blick sehe.

Doch wo passiert das?

Wo bekommen Renaissance Men and Women eine Chance?

Sie werden von der jeweils anderen Kultur immer abgelehnt.

Machen große Beratungshäuser da wirklich einen Unterschied?

Oder machen Big Picture Denker da nur die Websites für Talent Akquise bunter?

Ich will nicht als Pessimist gelten. Drucker war es nicht und Paschek ist es auch nicht. Das kann man schon daran ablesen, dass Pessimisten keine Bücher schreiben, wo einem doch jeder gleich sagt, dass kaum jemand mehr liest — und Manager, die Macher der Nation, schon gar nicht. Auch ich schreibe, wohlwissend, dass mich kaum jemand liest. Trotzdem ist genau dies ein Eingeständnis, das ich wahrscheinlich zu lange selbst verleugnet habe: Ich bin sehr viel mehr Denkerin, als ich es gemeinhin wahrhaben möchte. Aber vielleicht bin ich auch einfach nur aus der Zeit gefallen. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass Drucker unter seiner Renaissance-Man-Identität gelitten hat. Er war erfolgreich und anerkannt. Er wurde geliebt — nicht nur von seiner wunderbaren Frau. Er hatte „Nachfolger“. Er inspiriert bis heute Menschen.

Mich eingeschlossen.

Als ich den Buchdeckel zugeschlagen habe, da hatte ich, wie schon eingangs erwähnt, zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder das Gefühl, dass ich von einem wissenschaftlichen Text berührt wurde. Ich habe Neues entdeckt und möchte Vielem darin nachgehen. Doch am allermeisten beflügelt mich heute, sehr menschlich und wenig wissenschaftlich, die Selbsterkenntnis. Ja, wir Menschen projizieren ständig und immer, es wird sogar schlimmer, je reflektierter wir sind, scheint mir. Trotzdem ist es einfach nur wunderbar zu lesen, wie ein “Bystander”, ein lebenslanger Außenseiter, sein Leben an der Seite seiner großen Liebe in tiefster Zuneigung und Anerkennung verbrachte und sich nicht hat verbiegen lassen. Sein Außenseitertum erlaubte ihm die einzigartige Perspektive, die ihn und sein Denken auszeichneten.

Das gibt Hoffnung.

Ganz ohne Gott.

Auch wenn die Hoffnung für Drucker “Glaube” bedeutete.

Für mich auch.

Es gibt immer mehr, als man sieht.

Man muss sich nur trauen,

auch hinzuschauen –

Auch und gerade von der Seitenlinie.

Und ich möchte meinen Beitrag hier mit den Worten von Druckers Frau beenden, so wie es auch Paschek in seinem letzten Kapitel tut.

„Peter war ein Außenseiter, immer. Wenn wir auf diesen vielen Meetings waren, da haben sie alle Golf gespielt. Er niemals. Ich sagte, das macht nichts, geh doch raus mit dem Schläger. Du brauchst ja nicht zu schlagen. Er hat nicht reingepasst, aber das hat ihn gar nicht gestört.

… Peter wurde an der Universität auch als Außenseiter empfunden. Auch als ich ihn kennenlernte, war er nicht angepasst. In Bennington war er kein Außenseiter, das war ein intellektuelles Milieu. Das intellektuelle Milieu in New York war nicht so intensiv wie in Bennington. Natürlich hat er mit sehr vielen Leuten nicht als Außenseiter gesprochen, er hat sehr viele Leute gekannt. Wenn die Professoren zusammenkommen, denn [sic] reden sie nur: Who gets what? Who doesn’t? Er fühlte sich wohler mit einfachen Leuten.“ (Paschek 197, Ehefrau Doris über Peter Drucker)

Mit herzlichem Dank an PP und VP

Reflexionsfragen

1) Hattest Du jemals im Beruf eine „Muse“ — einen Menschen, der Dich maßgeblich inspiriert hat? Wie hast Du ihn gefunden/kennen gelernt?

2) Wie denkst Du über die deutschen Universitäten?

3) Hast Du Dich jemals als Außenseiter gefühlt in Deiner eigenen Berufskultur? Wie bist Du damit umgegangen — hat es Dich gestört?

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