# 481: BOOK OF THE WEEK — “Der kleine Gartenversager”

Silke Schmidt
6 min readAug 1, 2023

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Schwarz, Stefan (2021). Der kleine Gartenversager: Vom Glück und Scheitern im Grünen.

Geschichte hinter der Buchauswahl

Dieses Büchlein fand seinen Weg vom Wühltisch zu mir. Und dieser Post heute kommt zwei Tage zu spät. Sonntag war vor zwei Tagen und mein „Book of the Week“ post erscheint seit Jahren wie ein Uhrwerk immer sonntags. Egal, ob ich auf Reisen war, am Flughafen, in der Bahn, auf einer Veranstaltung — ich habe immer alles daran gesetzt, sonntags zu posten. Diesmal habe ich das nicht gemacht. Dabei ist nichts Weltbewegendes passiert — ich hatte einfach nur Besuch und war nachts zu müde und vorher habe ich es nicht hingekriegt. Das Schöne ist, es ist gar nichts dabei. Es kratzt nicht an meinem Selbstwertgefühl, dass ich eine mir selbst auferlegte Schreibregel gebrochen habe.

Ist das ein Zeichen von Weiterentwicklung?

Dieses schöne Büchlein zeugt auch von Weiterentwicklung; eben jener, die Gärtner, speziell Kleingärtner, durchmachen. Es ist flott und sprachlich einfach nur schön und amüsant geschrieben. Zudem lernt man viel über die DDR-Geschichte. Kurzum: Es ist ein Segen für die Seele. Es braucht nicht immer hochtrabende philosophische oder theologische Themen, um den Kopf auf ein Thema zu lenken, das durchaus auch Tiefe hat. Ich frage mich oft, was gewesen wäre, wäre ich ohne Garten als Kind aufgewachsen. Die Frage ist aber müßig. Was bleibt ist die Bedeutung, die das Gärtnern für mich hat. Und dies in solch treffende und gleichsam lustige Geschichten zu verpacken, ist eine wunderbare Gabe, die der Autor hier mit seiner Leserschaft teil.

In Summe: In diesem Buch bestätigt sich, was wir vom Leben bereits wissen — nur das Scheitern bringt die volle Lebenserfahrung, die einen wachsen und noch lauter lachen lässt.

© Silke Schmidt 2023
  1. Körper und Seele
Schwarz 9

Was Menschen, die nie im Garten geackert haben, vielleicht nicht verstehen: Gärtnern ist anstrengend. Ja, wenn man Bauer ist und mit großen Mengen und Maschinen unterwegs, dann ist das noch einmal eine andere Dimension. Trotzdem merkt man beim Gärtnern noch, was es bedeutet, „Frucht“ aus der Erde zu holen. Gemüse und Obst kommen nicht einfach so auf den Teller. Und allein den Boden für die Saat vorzubereiten, erfordert gehörige Anstrengung. Ich könnte jetzt tatsächlich auf biblische Geschichten zu sprechen kommen, bei denen es um genau das geht. Das lasse ich aber. Worauf ich hinaus will: Das Gärtnern macht genau das, was Schwarz oben beschreibt: Es nährt und heilt Körper und Seele, auch wenn beide manchmal sehr schmerzen.

Es ist kein Geheimnis, dass das Arbeiten mit den Händen in der Erde eine gewisse „Groundedness“ fördert. Ich benutze dieses Wort immer nur in Englisch, da das deutsche Wort „Erdung“ einfach nicht die ganzheitliche Bedeutung trifft, wie ich sie meine. Kann aber auch einfach sein, dass ich das Wort in einem bestimmten Kontext von einer bestimmten Person aufgenommen und so verinnerlicht habe, dass andere Worte das nicht wieder wett machen. Jedenfalls meine ich, dass man mit Gärtnern den Boden unter den Füßen wiedergewinnt oder nicht verliert. Man riecht den Dreck und spürt ihn an den Fingern. Doch genau bei diesem Dreck fühlt man sich eben nicht dreckig in dem Sinne, wie man es erfährt, wenn man in einer vollgestopften Bahn die schmutzigen Griffe berührt oder auf eine fremde Toilette geht und alle möglichen Phantasien hat.

Dieser Dreck der Erde hat etwas Heilsames. Natürlich ist mir klar, dass dieses Philosophieren über die Arbeit mit den Händen in der Erde wahrscheinlich kaum einem Kleingärtner kommt, der sein Beet umbuddelt und sich mit Vereinsvorständen herumärgert. Muss es ja auch nicht. Mir jedenfalls geht es so und seitdem ich nicht nur mehr in einem Kleingarten sondern in meinem eigenen Grund und Boden gärtnere, hat dies nochmals mehr Bedeutung. Es gab Tage in meinem Leben, da wusste ich partout nicht, wohin mein Leben steuerte. Aber die Arbeit in der Erde ließ mich das vergessen. Sie ließ mich spüren, dass mich nichts umhauen kann und dass „der Hände Arbeit“ Frucht bringt — irgendwann.

Das ist Seelsorge im Grünen.

2. Selbermacher

Schwarz 25

Ich muss gestehen, ich bin Selbermacherin, und zwar gerne. Doch auch bei mir kommt es vor, dass der Handwerker kommen muss, um mein Selbstgemachtes wieder aus zu bügeln. Das ist eben so. Daran muss man sich gewöhnen, wenn man eben ungern Dinge aus der Hand gibt, die aber trotzdem ab einem gewissen Punkt wieder funktionieren müssen. Dabei denke ich gern an diesen Satz, den ein Freund gestern zu mir sagte: „Du nimmst die Dinge in die eigene Hand.“ Das war ein sehr vielschichtiger Satz, der sich letztlich auf mein ganzes Leben bezieht. Ja, es stimmmt.

Und vielleicht habe ich das im Garten gelernt.

Es ist ein Schutzraum des Experimentierens.

Und gerade das Scheitern lehrt einen,

dass die Welt nicht untergeht,

auch und gerade dann,

wenn man selbst diejenige ist,

die etwas „kaputt“ macht.

3. Keine eigenen…

Schwarz 95

Was Schwarz hier zu den Radieschen schreibt, kennt wohl jeder Gärtner mit irgendeinem Gemüse. Bei mir sind es auch Radieschen, oft waren es aber auch Kohlrabi, eigentlich immer auch die Möhren. In jedem Garten scheint es irgendein Gewächs zu geben, dass aus unerfindlichen Gründen im eigenen Garten einfach nicht wachsen will. Das Irritierende ist nur, dass das Grün über der eigentlichen Frucht (die es eben nie gibt…) trotzdem wuchert wie blöd. Die Analogie der Adoption trifft den Gedankengang dabei sehr schön…

Der Mensch ist wohl trotz oder gerade wegen dieser „Nachwuchssorgen“ der besonderen Art dazu angespornt, es eben trotzdem mit aller Gewalt zu probieren. Diese Analogie zum Kinderkriegen ist zwar absolut daneben einerseits, andererseits hören sich derartige Geschichten oft so an. Es gibt viele Menschen, die wünschen sich nichts sehnlicher als ein Kind. Sie denken, sie könnten nie im Leben glücklich und komplett sein, wenn sie keines haben. Es ist ein Mangel, den sie scheinbar mit nichts anderem ausgleichen können. Und sicher fühlen sich sich von Gott und der Welt verlassen, dass er ihnen etwas so „Natürliches“ wie das Kinderkriegen nicht „gönnt“.

Ich habe in den letzten Wochen viele dieser Geschichten gehört. Wahrscheinlich habe ich die Passage deshalb markiert. Und ich kann annähernd teilen, wie das ist, wenn man etwas so sehr möchte, aber es einfach nicht bekommt. Das Blöde daran ist ja, dass es sich hier um nichts handelt, dass man sich „erarbeiten“ kann. Das lernt man spätestens im zehnten Jahr der fehlgelaufenen Radieschenzucht. Trotzdem versuchen wir als Menschen alles, um der Natur mit Hightech und sämtlichen Methoden auf die Sprünge zu helfen. Genauso kommt es auch, dass Frauen durch die Hölle gehen, wenn sie “um jeden Preis” Kinder möchten.

Ich habe dazu keine Meinung.

Das wäre anmaßend.

Ich kann nur hoffen,

dass alle Menschen,

egal welchen Mangel sie in ihrem Leben spüren,

plötzlich von etwas gefunden werden,

das sie „ganz“ fühlen lässt

und ihnen zeigt,

dass auch der Mangel

seinen Sinn hat — irgendwie,

genauso wie ein Garten schön ist,

in dem nicht alles wächst,

was man sich wünscht.

Reflexionsfragen

1) Kannst Du Dich für Gartenarbeit begeistern? Warum/nicht?

2) Kannst Du Menschen verstehen, die immer alles selbst machen wollen, auch wenn sie genug Mittel hätten, um andere für bestimmte Arbeiten zu bezahlen? Was denkst Du, treibt sie an?

3) Was ist ein Wunsch, der Dir bislang nicht erfüllt wurde und den man auch durch Geld oder Arbeit nicht herbeizaubern kann? Was fühlst Du bei dem Gedanken, ihn vielleicht niemals erfüllt zu bekommen?

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