# 462: BOOK OF THE WEEK — “Dein Körper weiß alles über Dich”

Silke Schmidt
7 min readApr 30, 2023

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Bourbeau, Lise (2020/2007). Dein Körper weiß alles über Dich: Eine Anleitung sich neu zu entdecken.

Geschichte hinter der Buchauswahl

„Alle Krankheiten haben psychische Ursachen.“ Dieser Satz ist ein Schlag ins Gesicht für viele Menschen — jene, die selbst krank sind und jene, die nicht krank sind, ihn aber zutiefst ablehnen und geradezu unmenschlich finden. Es gibt aber auch jene, die selbst schwerste Erkrankungen wie Krebs und Unfälle durchlebt haben und sagen, dass sie dem Satz prinzipiell zustimmen. Wie kann das sein? Das Aufeinanderprallen zweier Weltsichten, von denen nur eine oder gar keine „richtig“ ist?

Lise Bourbeau behauptet nicht Recht zu haben und sie sagt auch nicht platt, dass alle Krankheit nur auf die Psyche zurückgeht. Es geht um ein Wechselspiel und dieses Wechselspiel bezieht eben immer auch die Psyche mit ein, davon bin ich zutiefst überzeugt und viele, die sich mit Menschen ganzheitlich und nicht nur in fachlichen Schubladen beschäftigen, werden dem Gedankten etwas abgewinnen, behaupte ich. Der Grund für die tiefe Ablehnung einer solchen These besteht häufig in unserer Abwehrhaltung, die letztlich nichts anderes als Schutz ist. Wenn unsere Psyche für physische Krankheit verantwortlich sein soll, dann wären wir ja theoretisch „schuld“ an unserem Leiden. Wir könnten ja „einfach“ unsere Psyche heilen und dann hätte sich alles erledigt. Offensichtlich sind wir aber unfähig dazu und das will uns dann unsere Krankheit zeigen…

Derartige Gedanken sind normal.

Wir Menschen wollen nicht für unser Leiden selbst verantwortlich sein.

Und tatsächlich gibt es einen Unterschied zwischen Verantwortung und Schuld.

Nein, wir sind nicht schuld, wenn uns unsere Eltern einen riesigen Rucksack mit Schmerz als Gepäck mit auf die Lebensreise gegeben haben. Im Übrigen sind auch sie nicht „schuld“ daran. Sie bringen viel von ihren Eltern und ihrer Lebensgeschichte mit. Sie haben, wie wir alle, das Bestmögliche versucht, auch wenn es uns oft nicht so erscheinen mag. Was ich also sagen will: Es geht nicht um „Schuld“. Schuldgefühle sind genau das, was wirklich krank macht. Es geht durchaus um Verantwortung. Wir alle können die Verantwortung wahrnehmen, unser Leben selbst zu gestalten — was auch keinesfalls dem Glauben an Gott oder eine höhere Macht widerspricht. Und dazu gehört auch, dass wir uns an die Heilung unserer inneren Wunden machen können, so schmerzhaft dies auch sein mag. Damit können so manche “physische” Krankheiten nicht (mehr) verhindert werden, die bereits in unserem Körper angelegt sind. Unser Körper und damit auch unsere Krankheiten können aber hilfreiche Wegweiser sein, unsere inneren Wunden schneller zu finden und in der Tiefe zu heilen. Hierzu leistet Bourbeau nicht nur mit diesem Buch (ich hatte bereits weitere besprochen) einen wunderbaren Beitrag.

  1. Gegensätze
Bourbeau 43

Manche Menschen triggern uns bis aufs Blut. Am liebsten möchten wir sie auf den Mond schießen. Das geht über das normale Maß an „nicht mögen“ oder „ablehnen“ hinaus. Wenn wir genauer hinschauen, dann machen sie objektiv nichts Böses und reden nicht schlecht mit oder über uns. Aber jedes Wort, das sie sagen und wie sie es sagen, bringt uns zum Rasen. Wenn uns eine solche Person begegnet und wir den Mut haben, nicht gleich vor ihr zu fliehen, dann kann es sich um genau so ein Gegenstück, einen Mensch mit „gegensätzlichen“ Ansichten, handeln, der uns tatsächlich weiterhilft.

Diese Lektion ist eine der härtesten aber bereicherndsten im Leben. Damit meine ich nicht, dass man sich alles gefallen lassen sollte und Verletzungen einfach so über sich ergehen. Ich meine damit, dass wir den Mut haben können, ihnen zuzuhören. Was uns an diesen Menschen und dem, was sie sagen, häufig stört, berührt etwas in uns, das wir nicht geklärt haben. Das kann eine tiefere Wunde sein. Es kann aber auch einfach eine immer und immer wiederkehrende Baustelle in unserem Leben sein, vor der wir weglaufen (was meist trotzdem in einer Wunde seine Wurzeln hat). Genau das bringt uns weiter. Das tut es aber nur, wenn wir es wirklich an uns heranlassen.

Dieses Heranlassen funktioniert über das Gefühl. Die Wut oder Ablehnung, die wir der Kritik des anderen entgegen bringen (wobei Kritik nicht Demütigung ist), ist genau dieses Gefühl. Da können wir eintauchen. Alle innere Arbeit führt über das Gefühl. Das zeigt uns den Weg. Und dann können wir schauen, was dahinter ist und das Thema angehen. Das heißt im Endeffekt nicht, und das ist mir wichtig zu sagen, dass dieser andere Mensch für immer und ewig ein Segen sein wird oder wir ihm die Füße küssen sollten vor Dank. Aber wenn er diese tiefen Themen in einer Weise berührt hat, von der wir am Ende des Prozesses erkennen, dass sie hilfreich und „richtig“ war, dann war dahinter Liebe. Und diese Liebe braucht eben oft oder gar immer diese Ehrlichkeit, die uns am Anfang völlig aus der Bahn wirft, da wir sie „nicht haben“ wollen.

2. Lachen

Bourbeau 57

Vor einigen Tagen war ich ehrenamtlich an einem Einsatz beteiligt, der eher kein freudiger Anlass war. Es galt, Menschen in Not und auf der Flucht zu begleiten. Davor beim Warten erzählte ein Kollege von einer sehr witzigen Werbung. Ich musste sofort laut lachen. Daraufhin ermahnten uns einige der Umstehenden mit Worten und bösen Blicken, wie das denn sein könne, in einer solch „ernsten“ Situation zu lachen. Früher hätte ich mich total geschämt, etwas „falsch“ gemacht zu haben. Heute tue ich das nicht mehr. In der Situation waren keine Menschen drumherum, die in Not waren; noch nicht. Und zudem sind es oft genau sie, die ein Lachen aus tiefstem Herzen ganz besonders schätzen. Es ist unsere soziale Konditionierung, die uns einprogrammiert, dass Tod und Leid nicht mit Lachen zusammmen hängen dürfen. Meine Erfahrung ist da anders.

Ich habe lange darum gekämpft, mein tiefes Lachen aus dem Herzen wieder zu finden.

Das lasse ich mir nicht mehr verbieten,

sofern es wirklich authentisch ist.

Einer der wichtigsten Lacher meines Lebens

fand auf einem Friedhof statt!

Es geht nicht darum, den Clown zu spielen oder Druck durch Hysterie raus zu lassen. Es geht darum, in jedem Moment die Freude des Lebens, die man in sich trägt, aus zu strahlen und zu äußern. Es gibt viele Menschen, die können das einfach nicht. Kennst Du auch Menschen, die einfach nicht lachen können? Die Du noch nie hast lachen hören? Die bestenfalls ein Grinsen zustande bringen? Ich kannte und kenne solche Menschen. Früher habe ich mir darüber wenig Gedanken gemacht. Erst als mein eigenes Lachen mal weg war, habe ich mich selbst vermisst und plötzlich auch „bemitleidet“. Wenn man nicht lachen kann, dann ist da was im Weg. Lachen ist menschlich. Und diejenigen, die anderen das Lachen verbieten, die wünschen sich oft am meisten, selbst lachen zu können.

Bourbeau gibt ihnen oben einen Tipp, wie das geht.

Es ist ganz einfach:

Umgib Dich mit lachenden Sonnenmenschen.

Deine Ernsthaftigkeit geht dadurch nicht verloren.

Und das Strahlen in Dir wird heller.

3. Männliche und weibliche Seite

Bourbeau 146

Menschen ohne jegliche Berührung mit Yoga oder fernöstlicher Philsophie werden so einen Ansatz absolut abgedreht finden: “Was, mein rechter Arm ist männlich? Mein linkes Bein ist weiblich?” Nun, es geht nicht um das „Geschlecht“ einer Seite? Es geht um das Ganze. Wir alle tragen männliche und weibliche Energie in uns und die beiden Körperhälften repräsentieren das. Wer spezielle Probleme wie Verspannungen im Körper nur auf einer Seite hat oder Unfallverletzungen nur auf einer Seite erlitten, darf mal in sich hinein hören und genau hinschauen, wie er/sie denn so drauf ist. Verbringt Du Deinen Tag eher mit „weiblichen“ Tätigkeiten oder menschenintensiven Jobs? Oder bist Du eine “Managementmaschine” und Emotionalität ist für Dich ein absolutes No Go?

Ja, das klingt alles stereotyp. Wenn Du es wagst, in die Tiefen Deiner Seele ab zu tauchen, dann wirst Du erkennen, dass Dein Körper wirklich nicht lügt. Bourbeaus Buch bietet genau das, was auf dem Cover steht: Eine Einladung, Dich von Grund auf neu zu betrachten. Schau in den Spiegel. Es geht nicht darum, das, was Du siehst, abzuwerten. Das Gegenteil ist der Fall. Schau hin und sei neugierig, was Dir alles auffällt. All das macht plötzlich sehr viel Sinn im Zusammenspielt mit Deiner Geschichte und Deinem Seelenleben. Es ist an Dir, etwas zu verändern, wenn Du das willst. Es geht nicht darum, Dein Sein zu verändern. Im Gegenteil, es geht darum, Dein wahres Sein unter der Hülle zu erkennen; Wunden zu heilen, die Deine Seele und schließlich auch Deinen Körper vernabt haben. Das ist eine wunderbare Reise, die ist unbezahlbar. Die allerletzten Zeilen des Buches geben das Ziel und den Weg der Reise wieder:

Wenn die Macht der Liebe

Die Liebe zur Macht ersetzt hat,

dann wird der Mensch

einen anderen Namen haben:

Gott.

(Sri Chimnoy)

Reflexionsfragen

1) Hat Dich jemand schon einmal stark kritisiert und Dir damit weitergeholfen? Wann hast Du das realisiert?

2) Wann hast Du das letzte Mal von ganzem Herzen gelacht? Was fühlst Du jetzt in diesem Moment, in dem Du Dich daran erinnerst?

3) Hast Du eine „starke Seite“ im Körper? Welche ist es? Steht das in irgendeiner Beziehung zu dem, was Bourbeau über die männliche und weibliche Kraft und ihre Entsprechung im Körper schreibt?

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