# 447: BOOK OF THE WEEK — “Theologie als Abenteuer”

Silke Schmidt
6 min readFeb 12, 2023

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Berger, Klaus, mit Veit Neumann (2014). Theologie als Abenteuer: Gespräche mit Veit Neumann.

Geschichte hinter der Buchauswahl

Ein Buch mit diesem Titel muss wohl auf meiner Leseliste landen. Bzw. stand es da nicht lange. Ich habe es sehr schnell nach dem Kauf gelesen. Ich weiß nicht mehr, wie ich darauf kam, es zu kaufen. Es muss irgendeinen Hinweis dazu in einem anderen Buch gegeben haben. Nein, jetzt weiß ich es wieder. Ich wollte etwas von Klaus Berger lesen, um ihn kennen zu lernen. Und dann suchte ich nach Titeln und fand diesen. Und natürlich war es dann um mich geschehen. Die Abenteuerlust begleitet mich seit der Kindheit. Das Wort heißt nicht umsonst so. Lust ist etwas dem Menschen sehr Eigenes, Tiefes, etwas ganz und gar Erfüllendes. Nur wenn wir uns selbst verlieren, spüren wir keine Lust mehr. Und manchmal war das auch so mit dem Abenteuer. Wann immer ich schon keine Lust mehr auf Abenteuer hatte, war etwas faul.

Das ist ein biographischer Einstieg in das Buch, genauso wie das Buch selbst eine Minibiographie von Berger ist. Und genau deshalb war es die richtige Wahl. Ich wollte ja Berger und sein Denken kennen lernen und das gelingt gut mit diesem Buch, das eine Sammlung von Gesprächen ist. Berger teilt seine persönliche Geschichte, die immanent mit seinem theologischen Denken und damit mit seiner Wissenschaft verwoben ist. Wichtiger noch: Berger ist zwar Wissenschaftler, teilt jedoch sein zwiespältiges aber keineswegs verbittertes Verhältnis mit derselbigen. Heutzutage können einige, besonders Wissenschaftler selbst, den Unterschied wohl nicht mehr erkennen. Sie verstehen nicht, wie man kritisch dem System gegenüber sein kann und trotzdem darin lehrt; und zwar auf seine ganz eigene Weise.

Ich bin auch so eine „Berger“.

Zwar bin ich (noch) keine Theologin,

aber ich gebe nicht auf daran zu glauben,

dass wir noch fähige Menschen ausbilden,

wenn wir uns nur selbst zu ebensolchen entwickeln…

  1. Blutleere Gestalten
Berger mit Neumann 17

Diesmal befinden sich alle von mir zitiertern Passagen bereits auf den ersten Seiten des Buches. Das bedeutet nicht, dass ich nicht weiter gelesen hätte oder die weiteren Seiten nicht absolut lesenswert wären. Doch bereits nach der Lektüre eben dieser ersten Seiten war es um mich geschehen: Man erhält mit ihnen sofort einen Einstieg in das Leben und Wirken dieses Mannes, dem das deutsche Universitätssystem — damit sind die Menschen darin gemeint — so viele Steine in den Weg gelegt hat. Er musste u.a. seine Dissertation zweimal schreiben, weil die erste zu “häretisch” war!

Vieles, das in diesem Buch über die Universität und ihre Rituale und Gepflogenheiten geschrieben steht, ist an Absurdität nicht zu überbieten. Aber wer darin arbeitet, weiß, dass es im Prinzip nichts gibt, was es nicht gibt, und sei es noch so unglaublich oder lächerlich. Es gibt immer noch etwas, das man noch nie gesehen und gehört hat, obwohl man schon viel gewöhnt ist. Bei Berger haben sich diese Momente gehäuft. Doch er schwärzt keinen an. Er schildert die Abläufe, so wie sie gewesen und dokumentiert sind. Und er nennt die Namen von Doktorvätern und weiteren Gestalten, die sich teils bis zu ihrem Sterbebett nie für ihr Verhalten entschuldigt haben.

Das wiederum überrascht nicht.

Es gibt viele, die bereuen nicht.

Und seien sie noch so „fromm“ und vermeintlich gebildet.

Genau diese Exemplare sind die „blutleeren“ Kreaturen, die eines absolut nicht vermögen: Studierende mit zu reißen, sie zu berühren mit den Inhalten, sie zu begeistern. Es mag lustig klingen, Professoren im Elfenbeinturm so beschrieben zu sehen. Und man kann es sich wahrscheinlich gut vorstellen. Aber die Realität ist leider alles andere als lustig. Die Realität ist so, dass sie einem weh tut. Da sind junge Menschen, die voller Elan teils aus sehr guten Schulen kommen und viel mitbringen. Und dann sind da diese scheintoten Theoretiker, die 0 menschliche Wärme und Humor ausstrahlen. Sie verstecken sich hinter einer Hülle des Wissens, das ihnen zweifellos keiner nehmen kann.

Sie bekommt dort ja keiner weg.

Sie können machen, was sie wollen.

Sie können so wenig intelligent sein, wie sie nur können.

Es ist ein Trauerspiel.

Und Berger hat es nicht mitgespielt.

Das ist einzigartig mutig

— nicht nur in der Theologie.

2. Theologie als Biographie

Berger und Neumann 20

Als Biographieforscherin, zumindest war ich das mal, vielleicht bin ich es auch noch, spricht mich so eine Passage natürlich an. Aber ich würde sie nicht auf die Theologie begrenzen. Natürlich ist es mit dem Glauben, der Wissenschaft um ihn und der eigenen Person noch einmal eine andere Sache. Trotzdem ist jede Geisteswissenschaft mit sich selbst beschäftigt, weil die Forscher meist persönliche Lebensfragen beleuchten. Das ist nicht immer gleich ersichtlich und sicher trifft es nicht immer zu. Trotzdem enstpricht es meiner Erkenntnis nach mehr als einer Dekade Beobachtung von Wissenschaft und den Menschen darin. Berger hat den Mumm, das auszusprechen. Im Prinzip weiß jeder „normale“ Mensch mit gesundem Menschenverstand, dass das richtig ist. Und in seinem Fall ist es auch mehr als tröstlich zu sehen, dass sich jemand nicht hat unterkriegen lassen und mehr oder weniger nüchtern an seiner Berufung fest gehalten hat, das neue Testament zu lehren.

Tja, die Sache mit der Berufung…

Die lässt mich Berger besonders nah sein.

Nur leider hilft das nichts.

3. Erfüllung und Herausforderung

Berger mit Neumann 23

Wie oft ich den Satz schon gehört habe: „Mach doch einfach irgendwas und lebe dann Deine vielfältigen Talente irgendwo anders.“ Toller Plan, funktioniert aber nicht, wenn man so tickt wie Berger. Und das ist schon das Tolle und Tröstende, wenn man solch eine Passage liest. Da ist jemand, der das klipp und klar als sein Motiv anführt. Er wollte keinen 0–8–15 Job. Er wollte etwas, das ihn täglich und in jeder Stunde begleitet. Ja, manche werden sagen, es muss doch noch was anderes als Arbeit geben. Ja, gibt es, wenn man Arbeit und Leben und Sein trennt. Wenn man das nicht tut und WILL, dann kommen die Klugscheißer von der Seite, die einem einreden, dass bei einem etwas nicht stimmt.

Berger war kein Klugscheißer und schon gar nicht war er jemand, bei dem vieles nicht gestimmt hat. Ja, die Leute haben sich aufgeregt darüber, dass er offensichtlich katholischer war als das für einen Lehrenden in der Evangelischen Theologie verträglich gewesen wäre. Aber er war ein erfolgreicher Wissenschaftler und Theologe. Nein, eigentlich war er nur eins: ein exzellenter Lehrer. Über den Begriff kann man streiten, aber das Bild ergibt sich beim Lesen des Buches. Er hat die Theologie nicht nur gelehrt, er hat sie geliebt und gelebt. Das hat er an seine Studierenden weitergegeben. Und diese wurden eben nicht vorwiegend Wissenschaftler, sondern Pfarrer und viele Bischöfe.

Als ich über die “Karrieren” seiner Schüler auf einer anderen Seite las, wurde mir klar, wie schade es ist, dass andere Fächer nicht eine praktische Rolle als Berufsziel haben, die dem Pfarrer äquivalent ist. Pfarrer bringen das universitäre Wissen unmittelbar an die Menschen. Lehrer tun das in ähnlicher Weise. Beide Berufsgruppen prägen Menschen maßgeblich. Und wer sich den Menschen ganz und zu jeder Zeit geben will, der kann nicht einfach irgendwas zum Geld verdienen machen. Natürlich könnte man, aber dann geht man ein wie eine Primel. Berger ist das nicht passiert, er hat allerdings auch einen Abstrich machen müssen. Ursprünglich hatte er Priester werden wollen und als ihm die Kirche den Weg verbaut hat, musste er seinen Traum aufgeben. Aber die Motivation blieb gleich. Er wollte erfüllt und ausgefüllt werden, und das hat er geschafft.

Dieses Buch ist empfehlenswert.

Damit ende ich selten, aber so ist es.

Wer einen streitbaren und wachen Geist als Vorbild in der Theologie sucht,

hat ihn in Berger.

Damit ist nicht „Anerkennnug“ und Nachmachen gemeint.

Damit ist gemeint,

dass jemand im akademischen Betrieb überlebt und sogar erfolgreich wird,

der nicht gewünscht ist.

Ich weiß nicht,

wie der Weg für mich ausgeht.

Aber Berger hat ihn vorgelebt.

Das ermutigt.

Auch wenn es an den Missständen nichts ändert.

Theologie ist ein Abenteuer,

aber die meisten Abenteurer sind ausgestorben.

Reflexionsfragen

1) Welche Assoziationen hast Du mit Uni-Professoren?

2) Stimmst Du damit überein, dass Theologie Biographie ist? Oder gibt es so etwas wie objektive Wissenschaft für Dich?

3) Was bedeutet Dir Dein Beruf?

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