# 416: BOOK OF THE WEEK — “Psalmen”
Geschichte hinter der Buchauswahl
Noch vor einem Jahr wusste ich nicht, was Theologie ist. Ja, ich kannte das Wort, nicht mehr. Und nein, es hatte wenig mit mir zu tun. Nun stecke ich mittendrin und vertilge diese Literatur. Natürlich ist es mal wieder nicht der Mainstream, die “klassische” Theologie. Was ist das schon? Ich bin auf dieses Buch durch Sölle gekommen. Cardenal muss sie sehr beeindruckt haben. Das ist leicht zu verstehen. Menschen, die den Glauben als Quelle nutzen, um gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu kämpfen, nehmen einen in ihren Bann.
Oder eben nicht.
Das alles fällt unter „kontextuelle Theologie“ oder „Befreiungstheologie“. Das sind Begriffe. Wieviel oder wenig sich dahinter verbirgt, weiß ich noch nicht. Aber was in diesem Buch steht, das braucht nicht viel Theorie. Genauso braucht es keine Theorie, um Menschen zu verstehen, die das, was Cardenal und Sölle vorgelebt haben, hier und heute weitertreiben. Seit einigen Tagen habe ich das Privileg, Menschen — Glaubende — Theolog/innen — aus der ganzen Welt begrüßen zu dürfen. Sie sind beflügelt von einer besonderen Kraft. Und diese Kraft kommt aus dem Glauben. Man mag die Bibel als ein Relikt der Menschheitsgeschichte abtun — fein. Aber offensichtlich bewirkt sie noch heute Dinge, die kaum eine andere Quelle anzustoßen vermag. Und sie trägt Menschen durch die Hölle auf Erden, um immer weiter für das Gute zu kämpfen.
Ist das nicht wahrlich tröstlich?
- Psalm 9/10
Cardenal wandelt die Psalmen für den Lebenskontext seiner Zeit und seines Landes um. Ist es nicht erstaunlich, wie zeitlos das ist? Ist es nicht wahrlich erschreckend, wieviel wir alle überall auf der Welt gemeinsam haben? Die Probleme werden sich immer wiederholen. Die Lösungen müssen immer etwas andere sein. Die Psalmen als Quelle der Kraft haben sich über annähern zwei Jahrtausende bewährt.
2. Psalm 21/22
Wir allen fühlen uns manchmal verlassen. Richtig schlimm wird es erst, wenn kein anderer Mensch mehr da ist. Noch schlimmer, wenn selbst das, was wir Gott nennen, nicht mehr da ist. Dann gibt es keine Hoffnung mehr. Ein Mensch ohne Hoffnung auf irgendetwas stirbt. Es beeindruckt mich so tief, zu sehen, wie Menschen trotzdem weiterleben. Und das Beste: Sie LEBEN mehr als die, die sich von Gott noch nie verlassen gefühlt haben. Sie LEBEN mehr als jene, die Gott mit Gütern versuchen zu ersetzen. Sie LIEBEN mehr, weil sie wissen, dass das das Einzige ist, was zählt.
3. Psalm 48/49
Marx hat vielleicht für viele nichts mit Kirche zu tun. Wer Marx und Sölle und Cardenal kennt, weiß, dass das nicht stimmt. Ich spüre, wie sehr die Theologie gerade das Politische wieder in mir entfacht. Vor einigen Tagen las ich einen Aufsatz, in dem stand, dass Seelsorge politisch ist. Sie ist politisch deshalb, weil die Geschichten, die man erzählt bekommt, gehört werden wollen und sollen. Nein, man kann sie nicht “einfach so” weitergeben. Sie sind vertraulich, intim. Aber ja, man kann sie in abgewandelter Form an die Menschen bringen. Denn das Leid kann oft nicht gestillt werden. Doch wenn es gehört wird, ist schon viel getan. Für den Menschen, der erzählt. Für die Menschen, die zuhören. Und gerade in einer sogenannten „Weltgemeinschaft“ ist das wichtig.
Gehört zu werden
Ist ein Menschenrecht
Zuhören
Ist eine Menschenpflicht.
Wann lernen wir das?
Reflexionsfragen
1) Gibt es aus Deiner Sicht auch gute Seiten an „Karrieremachern“?
2) Wenn Du Dich von allen und allem verlassen fühlst — wen „rufst“ Du an?
3) Was bringt „Gehörtwerden“?