# 412: BOOK OF THE WEEK — “Wir gehn dahin und wandern”

Silke Schmidt
5 min readJul 31, 2022

--

Köpf, Rainer (2007). Wir gehn dahin und wandern: Eine Reise zu Paul Gerhardt.

Story behind the Book Choice

Only about a week ago, I was sitting in a church music seminar and told the teacher that music needs to touch people. In German theology, there is a single name associated with this idea: Paul Gerhardt. For most of my life so far, Gerhardt was only a historical name for me, not more. Now, I am starting to grasp his significance. I have to say first and foremost that I have not achieved the level of emotional involvement which might be necessary for considering yourself a “fan” of his. I like his story, no doubt. Maybe that reveals why I write rather than sing. But I also have to admit that some of his songs did touch me once in a while when I was still attending church services regularly. Now I feel much more mature in my own belief to know what I need for my spiritual life and what I previously did because I thought it had to be done by a Christian.

Singing church songs that do not speak to me was one of these things.

Gerhardt was a rebel in his own way. He stood up to the Reformed Church and remained true to his Lutheran roots — even a Lutheran identity, if you want so. Now that I have read about his life story in the book, I do notice the significance of his songs for those who are struggling — suffering, also in political ways. The book neither claims to be a biography nor a comprehensive historical analysis of his music. The story is interwoven with the lyrics of his songs. And I think, this does help to access his music a bit better than by just reading the lyrics in some hymn book. Still, I do have trouble with church songs. It seems, only the “political” ones speak to me. Or maybe I interpret things in a political manner? Whatever the reason, I like this book and what I have learned from it about Paul Gerhardt.

1. Auswendiglernen

Köpf 12

“Die Takte des Lebens” — ja, ich glaube, jede Zeit im Leben hat ihren Takt. Und Auswendiglernen gehört definitiv seit sehr vielen Sommern nicht mehr dazu bei mir. Ich habe es schon immer gehasst, zumindest in der Schule. In der Abneigung gegen verordnetes Auswendiglernen schlägt sich meine ganze aufmüpfige Persönlichkeit nieder. Sich etwas ins Hirn zu pfeifen, ohne es zu verstehen — um es nur aus zu spucken — das geht gar nicht. Trotzdem stimme ich mit dem Autor überein, dass das Auswendiglernen seinen Platz im Leben hat — und zwar am Anfang. Was wir als Kinder lernen, vergessen wir nicht. Es brennt sich ein. So habe ich ganze Kassettentexte automatisch auswendig gelernt — ohne Intention, aber eben nicht auf Druck von schulischen Autoritäten.

Was ich aber erst heute langsam lerne zu begreifen, ist, dass man nicht alles gleich verstehen muss. Das nagt an mir. Es sträubt sich vieles in mir dagegen, das anzunehmen. Gleichsam ahne ich, dass es so ist. Denn wir alle haben es sicher schon erfahren. So vieles, das wir früher mal gelesen oder gehört haben, macht plötzlich, manchmal erst Jahrzehnte später, Sinn. Man erkennt dann, dass man vormals „dumm“ war. Oder man erkennt, dass man eine neue Tiefe in den Worten erkennt, die vormals ganz und gar unerreichbar war. Das muss nicht mit auswendig gelernten Texten einhergehen. Es kann auch einfach ein Buch sein, dass man nach vielen Jahren oder Jahrzehnten wieder vor sich hat. Und dann erkennt man, dass man damals, wo man dachte, alles zu wissen — gar nichts wusste. Oder man versteht zum allerersten Mal überhaupt die Bedeutung von Worten, die man schon x-mal zuvor gelesen hat.

Zentral ist hierbei jedoch, dass Kopf und Herz frei sein müssen, um das Gelernte einfach so und mehr oder weniger unhinterfragt aufzunehmen und zu speichern. Darin liegt auch ein Schlüssel, dies später durchaus noch einmal zu können. Wenn wir uns so frei gemacht haben, dass wir diesen „reinen“ Zustand trotz all des Erlebten wieder erreicht haben, dann ist es eventuell auch möglich, sich wieder auf das Auswendiglernen einzulassen. Vielleicht ist dies auch nur eine Wunschvorstellung — aber Schauspieler können es offensichtlich auch. Und das stützt die These mit Herz und Kopf: Jemand, der auf der Bühne spielt, kann dies nicht ohne Herz tun.

Auf der Bühne des Lebens tun wir das ständig, zumindest nach außen.

Gerhardt hat sich dem verschlossen.

Er musste dafür leiden.

2. Hilfswissenschaften

Köpf 59

Es hat mich leider sehr lange gebraucht, um zu erkennen, dass das, was Köpf hier zum Thema Hilfswissenschaften schreibt, voll und ganz zutrifft. Das macht die Geisteswissenschaften nicht weniger wichtig. Es bedeutet aber auch, dass es andere Disziplinen gibt, die es zu erlernen gilt, sofern man einen Beitrag leisten möchte, der über Lesen und Schreiben hinaus geht.

3. Vergleichen ist Leiden

Köpf 122

In meiner Inbox liegt eine frische Dissertation zu Kierkegaard. Ich wollte ihn schon immer studieren. Jetzt freue ich mich drauf. Und noch mehr freue ich, da ich dieses Zitat hier im Kontext des Gerhardt gefunden habe. Es stimmt. Wer sich jemals mit dem Buddhismus beschäftigt hat, wird sofort die Parallele sehen, denn hier ist der Gedanke sehr wesentlich. Wir brauchen aber auch hier nicht zu vergleichen zwischen den Konfessionen und Kulturen. Die Erkenntnis ist schlichtweg wahr — so wahr wie menschliche Weisheiten sein können. Und sie ist so tief, dass wir sie fälschlicherweise als banal abtun könnten. Ja, wir vergleichen unaufhörlich — uns selbst mit anderen, Ideen und Konzepte mit anderen, Wunschvorstellungen mit dem Hier und Jetzt.

Hören wir damit auf.

Dann sind wir dem Himmel ein Stück näher.

Nicht erst in der Zukunft.

Sondern sofort.

Das ist es, was Musik uns lehren kann.

Reflexionsfragen

1) Welche Lieder kennst Du noch auswendig aus Deiner Kindheit?

2) Wie deutest Du den Begriff der “Hilfswissenschaften”? Warum würdest Du heute Hebräisch und Altgriechisch lernen?

3) Wie denkst Du zu dem Satz von Kierkegaard „Alle Not kommt vom Vergleichen“?

--

--

No responses yet