# 378: BOOK OF THE WEEK — “Spurwechsel: Unternehmer und Professor überholen Konkurrenten”

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Eyerer, Peter (1989). Spurwechsel: Unternehmer und Professor überholen Konkurrenten — Ein Erfahrungsbericht.

Geschichte hinter der Buchauswahl

Heute geht es nicht (nur) darum, ein Buch zu besprechen. Es geht darum, zu zeigen, welche zeitlose Bedeutung Gedanken und Erfahrungen haben. Und dies trifft besonders auf jene zu, die noch immer nicht zur Realität geworden sind, zumindest breitflächig. Genau solche Gedanken finden sich zuhauf in diesem Werk. Nein, sie sind keine reinen „Hirngeburten“. Es sind, wie der Titel schon sagt, Erfahrungen. Das heißt: Sie wurden erfolgreich umgesetzt. Aber Bücher schreibt man nicht nur, um über die eigenen Erfahrungen zu berichten. Berichte zielen auf Handlungen ab, so jedenfalls die Meinung des Autors und meine. Das Problem ist nur, dass das mit dem Handeln in Deutschland so eine Sache ist...

Das Thema Problemlösung durch Unternehmertum beschäftigt mich so gut wie jede Woche an dieser Stelle. Für mich sind Bücher keine reinen Kulturgüter oder Selbstvermarktungstools oder was auch immer sich Menschen darunter vorstellen. An diesen Vorstellungen kann ich nichts ändern. Ich sollte mich aber genauso wenig davon abbringen lassen, den Wert in den Büchern weiterhin zu sehen und zu schätzen. Und Peter Eyerer, der eben nicht Dichter und Denker sondern Professur und Industriemanager war und ist, teilt diese Sicht. Er hat im Laufe seines Lebens hunderte von Publikationen auf den Weg gebracht, darunter auch solche erfahrungsbasierten.

Dabei sind wir schon bei einem entscheidenden Punkt meiner Besprechung heute angelangt: das Format. Dies hier ist, was ich heute, ein „Public Science“ Format nennen würde. Es ist kein reines Sachbuch, keine Autobiographie, aber auch kein reines wissenschaftliches Papier, obwohl es voller wohlrecherchierter Fakten ist. Es ist genau das, was es eben bis heute kaum in Deutschland gibt: Die optimale Mischung aus Theorie und Praxis zwischen zwei Buchdeckeln. Das geht sogar so weit, dass man den Inhalt komplett als Handbuch verwenden könnte. Es ist jeder einzelne Schritt skizziert, wie man es dem Autor gleichtun kann — einen “Spurwechsel” von der Uni in die Industrie zu unternehmen oder auch umgekehrt.

Und, wer macht es?

Damals wie heute macht es kaum jemand. Ich kenne die Zahlen nicht, noch nicht, werde sie recherchieren. Aber auf Basis meines eigenen Wissens um diese Thematik scheint mir die Anwendung dieses Beispiels gleich 0 zu sein. Das wäre verständlich, wenn man behaupten könnte, dass sich die Inhalte erledigt hätten, da die beschriebenen Probleme alle gelöst sind. Dem ist aber leider nicht so — absolut nicht. Denn genau das Bahnbrechende an diesem Buch ist ja, dass sich vielleicht bestimmte Daten und Fakten zur wirtschaftlichen Situation der BRD geändert haben, gewisse Branchen haben sich gewandelt, neue sind hinzu gekommen, neue Technologien sind da. Auch hat sich die Wissenschaft irgendwie gewandelt, aber flächendeckend eben kaum. Das ist das Thema, warum alles Beschriebene so brandaktuell und zeitlos erscheint und sich eben mitnichten “erledigt” hat.

Ich kann in meinem Beitrag heute, wie ich es jede Woche tue, nur „bits and pieces“ herausgreifen, um den Leser/innen einen Eindruck zu vermitteln, was es aus diesem Buch zu lernen gilt. Ja, mir geht es immer ums Lernen, ob es nun schick ist oder nicht. Täglich erfahren wir aus den Nachrichten, dass Menschen immer unbelehrbarer zu werden scheinen und gleichzeitig doch täglich mit Begriffen rund um „Lebenslanges Lernen“ um sich schmeißen. Ich scheue mich nicht davor, den Lernanspruch weiter zu verwenden. Wer lernen will und Spaß daran hat, es aber nicht so nennen will, der soll es so handhaben. Wer gar nicht lernen will, hat ohnehin auf meinem Blog nichts verloren, und in der Uni schon mal gar nicht. Und in den Firmen auch nicht. Alle leben nämlich von einer Ressource: Lernen. Peter Eyerer beschreibt dies nicht nur, er lebt es bis heute.

Alle sind eingeladen, mit zu machen.

  1. Wissen durch Personen
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Man beachte: Diese Maßnahme ist von 1986! Vor bald vier Jahrzehnten kam der Wissenschaftsrat auf die glorreiche Idee (noch vor dem Mauerfall), dass Austausch und Verständigung über Einzelpersonen effektiv und effizient ist. In der Zeit dazwischen hat man sich dann allerhand kostspielige Marketinginstrumente und Programme einfallen lassen, wie man das schaffen würde. Dummerweise ist der Grundgedanke so offensichtlich verloren gegangen. Denn sonst würden mehr Menschen auf die Idee kommen, dass ein Telefonanruf bei einem anderen Forscher oder Wirtschaftslenker mehr bringt als Monate und Jahre darauf zu warten, bis es irgendeine Ausschreibung als Grund für eine solche Kontaktaufnahme gibt.

Schade.

Das alles klingt zynisch und das ist bewusst so — Ich wiederhole hier gern mein Dogma: Die Welt wird von MENSCHEN gestaltet. Am Ende sind auch die größten Kriege, Verbrechen, aber auch die schönsten Dinge im Leben auf die Entscheidung(en) von einzelnen Menschen zurück zu führen. Das bleibt auch inmitten aller KI-Wunder und Rocket Science so. Es kommt nur scheinbar kaum jemand auf die Idee, das von sich aus umzusetzen. Noch nicht einmal ein dezidierter und detaillierter sowie selbstkritischer und ehrlicher Erfahrungsbericht wie dieser konnte an diesem mangelnden Interesse am „Machen“ etwas ändern. Oder vielleicht doch? Wer hat es nachgemacht?

Bitte melden: schmidt@companypoets.com

Natürlich weiß ich nicht, wie genau das Buch bei seiner Publikation angekommen ist. Vielleicht gibt es Menschen, welche die darin beschriebenen Schritte für sich umgesetzt haben. Damals gab es noch keine Social Media und kein professionelles Hochschulmarketing. Trotzdem basierte damals wie heute alle gute Kommunikation und jede hervorragende Publikation auf genau derselben Grundlage: guten Ideen von einzelnen Menschen, die mit Hilfe weiterer Menschen noch viel besser wurden und in der Realität etwas veränderten. Und damit sind nicht nur die Handlungen an sich gemeint. Damit ist auch und vor allem der Wandel des Einzelnen gemeint, die persönliche Weiterentwicklung, die durch eben jene Handlungen entsteht.

Noch ein letztes Wort in diesem Abschnitt zum Wissenschaftsrat (WR): 2020 hat der WR ein Papier zum Thema “Anwendungsorientierung in der Forschung” veröffentlicht. Mir scheint, ein Griff ins Archiv hätte geholfen, das neue Papier noch innovativer zu machen. Aber die Weitergabe von Wissen ist eben auch ein Problem, das noch niemand so recht lösen konnte. Es scheint als würde es den Menschen Spaß machen, das Rad permanent neu zu erfinden, anstatt mal einen Blick in die Werkstatt zu werfen und zu schauen, was da schon so steht. Dann beklagen sich im Öffentlichen Dienst direkt alle darüber, dass sie so überlastet sind. Auch und gerade ihnen sei ein Blick in dieses Buch empfohlen.

2. Führungspersönlichkeiten

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“Führung” und “Persönlichkeit” sind beides Dinge, die in deutschen Unis schwer zu finden sind. Das ist nicht so, weil es das nicht gibt. Es ist nur so, weil es Deutsche gelernt haben, all das, was sie besonders und einzigartig macht, was sie menschlich und nahbar macht, abzuschalten, auszublenden und möglichst nicht darüber zu sprechen. Das genau führt dazu, dass weder Führung noch Persönlichkeit dabei herumkommen; zumindest nicht sichtbar und spürbar. Denn einer Führungskraft vertraut man nur, wenn man sie schätzt. Und schätzen kann man nur Menschen, von denen man etwas weiß, das einem wichtig ist. Publizieren am Fließband wider die eigene Überzeugung ist das Gegenteil von dem Beschriebenen. Und mit “Kreativität” hat dies schon mal gar nichts zu tun, von “Universalgenies” ganz zu schweigen. Nur zur Erinnerung: Im Mittelalter gab es die noch, heute nicht mehr. Die sogenannte Wissensexplosion ist schuld.

Ein Schelm, wer den Knall schon gehört hat.

Ich muss es an dieser Stelle immer wieder betonen, falls es der Leser schon vergessen hat: Eyerer schrieb all dies 1989. Er schrieb darüber hinaus noch an anderer Stelle im Buch, dass es mehr Frauen in der Wissenschaft geben müsste und überhaupt mehr Frauen in Führung. Er schrieb auch, dass jüngere Kollegen genauso gut und teils noch besser Führung ausüben können als die senioren Forscher, so man sie denn lässt. Aber das genau verhindert eben der Dschungel an bürokratischem Gestrüpp, durch den sich der forschende Mensch wühlen muss. Und dann entscheidet er sich allzu oft für den leichteren Weg: Er versteckt sich darin, ja verbarrikadiert sich, um ja nicht entdeckt oder angesprochen zu werden. Das mündet dann in genau jenen Typen, die Eyerer im zweiten Absatz beschreibt. Nur schade, dass selbst das Anecken heute aus der Mode gekommen ist.

Vielleicht hat Corona den ein oder anderen aufwachen lassen und ihm gezeigt, dass es Wichtigeres gibt, als ja schön brav zu sein bei den Kollegen?

3. Menschen

Eyerer 199

Eyerer zitiert viel und prägnant. Hesse hat es ihm angetan, genauso wie mir. Hier ist es Nietzsche, der offensichtlich etwas im Autor angezündet hat, sonst wäre das Zitat nicht im Buch gelandet. Ich kenne viele, denen selbst Zitate nichts geben. Sie streichen sie — rationalisieren sie aus Texten — weil sie „emotional“ und unsachlich sind. Das sind genau diejenigen, die eben nicht wie der Autor ticken. Das sind die, die ihr Herz hinter den Mauern von Elfenbeintürmen oder Vorstandsbüros verbarrikadieren. Das sind nicht die, die in anderen etwas entzünden. Und das sind heute auch nicht mehr die, die Krieg erlebt haben — zumindest nicht im Heimatland.

Ich frage mich, wie wenig man über Menschen wissen kann, um sie trotzdem guten Gewissens zu führen. Wie kann es sein, dass die deutsche Verliebtheit in „sachliche Diskurse“ die ganze Kultur und letztlich das Nicht-Treffen von Entscheidungen bewirkt hat? Das mit dem Entzünden von Ideen in anderen, das passiert wie im Nietzsche-Beispiel auch völlig ungewollt und manches Mal mit schlimmen Konsequenzen. Um das zu ändern muss sich die Haltung ändern, die das Denken treibt. Wer Gutes im Herzen hat, wird Gutes denken. Und das wird Gutes Entfachen. Eyerer hat dies im Handeln gezeigt. Und er hat es geteilt. Mehr geht nicht für einen Menschen. Hören und Sehen muss jeder für sich selbst. Auch das ist eine Entscheidung über die Führung des eigenen Lebens.

Es ist nie zu spät für einen Spurwechsel.

Reflexionsfragen

1) Wann hattest Du einen Spurwechsel im Leben?

2) Wie definierst Du Führung?

3) In wem hast Du jemals etwas „angezündet“?

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