# 359: BOOK OF THE WEEK — “Das Neue Land”

Silke Schmidt
5 min readSep 26, 2021

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Pausder, Verena (2020). Das neue Land: Wie es jetzt weitergeht!

Story behind the Book Choice

Heute sind Bundestagswahlen in Deutschland und an einem solchen Tag, dachte ich, täte es gut, ein paar frische Gedanken von einer Nicht-Politikerin zur Politik zu lesen. Ich wurde enttäuscht. Ich kann es leider nicht anders formulieren. Stets versuche ich, in Büchern das Positive zu finden und kein bashing betreiben. Manchmal geht das nicht. Verena Pausder zeigt mit diesem Buch, das sie bewusst als „Rede“ verfasst hat, eigentlich nur eines: Bücherschrieben ist nicht Unternehmersache. Das Buch verdient es nicht, “Buch” genannt zu werden. Und die Gedanken darin verdienen es auch nicht, Gedanken genannt zu werden. Bestenfalls ist es eine Ansammlung von „Ideen“, die so neu sind wie die Tageszeitung von gestern.

Aber die liest ja heute kein Gründer U-30 mehr.

Nach diesen kritischen Worten zum Auftakt möchte ich vor der sehr kurzen Besprechung einiger Passagen noch eines vorwegschicken: Ich schätze jede/n Unternehmer/in und ich bin davon überzeugt, dass Verena Pausder als Führungskraft in der Wirtschaft und als Unternehmerin einiges geleistet hat, darunter auch mit ihrer homeschooling app. Aber wer ein Buch über ein „Neues Land“ schreiben will, sollte sich zumindest ansatzweise mit dem “wie” der Politik beschäftigt haben und mit der Tatsache, dass, wie im Unternehmertum auch, eine (gute) Idee noch keinen Unterschied in der Welt macht. Und ich sehe im gesamten Buch nicht, wie aus der mit allerhand Modewörtern umrissenen Zukunft, Realität werden soll. Pausder spornt durchweg zum Machen an, doch letztlich sind es wohl die Leser/innen, denen diese Aufgabe obliegt. Zitate wie diese von ihrem Onkel sind daher Schall und Rauch:

„Johannes Rau hat gesagt, dass >>Demokratie>> nur in Bewegung bleiben kann, wenn Menschen bereit sind, sich politisch einzumischen<<.

Und genau das habe ich vor.” (Pausder 69)

Im ganzen Buch taucht leider keine Antwort auf, wie genau sie das tun will.

Das betrifft auch jede einzelne „konkrete Idee“, die am Ende der Kapitel nochmals aufgelistet werden.

Es findet sich keinerlei „wie“, wohingegen das „was“ mit einer Menge von:

“Wir brauchen…”

“Wir sollen….”

“Wir müssen…”

“Das Neue Land hat…”

…begleitet werden.

Sorry, aber selbst Stammtischparolen von früher waren inhaltsreicher als diese „Rede“. Nur weil kurze Sätze und “Leidenschaft” auf den ersten Blick vielleicht so anmuten mögen, wird daraus noch keine Rede. Rede hat etwas mit Rhetorik zu tun. Dahinter steht logische Argumentation in ganzen Sätzen und mit Übergängen. Nun aber genug der Vor-Rede

My Learnings

  1. Unternehmertum gestern
Pausder 15

Diese Absätze gehören noch zu den positiveren. Pausder beschreibt an vielen Stellen ihren eigenen Hintergrund als Unternehmertochter. Doch auch hier zeigt die Nennung der Zahlen, wie wenig sie ihrem eigenen Anspruch gerecht wird. Familienunternehmern werden zu Familienunternehmern, wenn sie über viele Generationen bestehen. Die Tatsache, dass in den letzten 30 Jahren ‘nur’ drei von 500 Familienunternehmen gegründet wurden, ist daher mehr oder weniger sinnfrei. Zudem findet man kaum Quellenangaben im Buch. Prinzipiell ist an dem Appell nichts Schlechtes, die Leistungen der vorherigen Generationen zu würdigen. Aber gerade Startups tun dies in ihrer täglichen Praxis nicht. Dazu fehlt ihnen bereits häufig das historische Wissen, wie genau Familienunternehmen entstanden sind und wie sie arbeiten. Gerade junge Tech-Gründer sind mehr damit beschäftigt, zum Unicorn zu werden und “Disruption” zu betreiben. Davon will Pausder offensichtlich mehr. Wie sehr sich beides widerspricht, scheint sie nicht zu verstehen; zumindest geht sie darauf nirgendwo ein.

2. Unternehmertum heute

Pausder 24

Diese Passage ist ein Musterbeispiel für die 100 anderen der gleichen Art im Buch. Man kann es getrost in unter einer Stunde durchblättern. Es gibt nichts Neues zu entdecken. Der Leser erhält eine Zusammenfassung von „Best Practice Beispielen“, meist aus der Wirtschaft, als Wunderwaffe für sämtliche Politikbereiche von Bildung bis Umwelt. Und gerade diese Tschakka-Tschakka Variante von „Du bist immer on“ scheint wohl das Unternehmertum als die herausforderndste Tätigkeit im Lande verkaufen zu wollen. Prinzipiell ist an der Beschreibung nichts Falsches. Keiner bestreitet, dass das Unternehmertum abwechslungsreich und fordernd ist. Doch das Problem: Mit einem „Neuen Land“ hat das alles nichts zu tun. Denn das wird nur entstehen, wenn es Politiker/innen gibt, die in der Lage sind, neue Politik durchzusetzen. Davon scheint es, dafür ist das Buch ein Zeugnis, unter den jungen Unternehmer/innen zu mangeln. Da hilft auch der von ihr an anderer Stelle beschriebene „Querwechsel“ von Seiteneinsteigern nichts. Politische Akteure müssen zumindest in der Lage sein, mehr als nur ein Exzerpt von Parolen zu bieten, wenn sie demokratische Prozesse mitgestalten wollen. Davon ist nichts erkennbar, trotz der Tatsache, dass Pausder offensichtlich ihre politische Verwandtschaft, darunter Heinemann und Rau, in guter Erinnerung hat.

3. Politiker morgen? Mut zur Lücke!

Pausder 157

Auch diese Zahlen werden dargestellt, als sei das böse Fernsehen daran schuld, dass „junge“ und „andere“ Politik keine Sichtbarkeit genieße. Dabei müsste eigentlich der Medien-Profi und die Unternehmerin Pausder wissen, dass Sendungen nach Zielgruppen produziert werden. Und Polit-Talkshows sind eben nicht für die hippe Startup-Community von 18–30 vorgesehen, da diese schlichtweg nicht zum Publikum gehören. Es würde mich interessieren, wann Pausder selbst die letzte Polit-Talkshow gesehen hat (wahrscheinlich eine, in der sie doch zu Gast war!). Auch wenn ich selbst unter 40 bin, so bin ich froh, dass Leute wie sie und ich dort eben nicht sitzen. Denn wer über Politik redet, sollte sich zumindest einer Sache bewusst sein: Ohne Politiker keine politischen Entscheidungen. Und in welcher Partei macht Pausder Politik?

Im Aufsichtsrat der Commerzbank und mit einer riesigen Marketingmaschinerie, die ihre „Reden“ verbreitet.

Eines muss man ihr aber lassen:

“Mutig sein heißt auch, Mut zur Lücke zu haben.

Mutig sein heißt auch, zu akzeptieren,

dass wir nicht alles wissen können, bevor wir springen.” (Pausder 189)

Das gilt wohl auch fürs Bücherschreiben.

Armes Neues Land…

Reflection Questions

1) Bist Du heute wählen gegangen? Warum/nicht?

2) Pausder fordert das Wahlrecht ab 16. Was sagst Du dazu?

3) Was sind Stärken, die Unternehmer/innen aus der Vergangenheit auszeichnen? Findest Du, junge Unternehmer haben die gleichen/andere?

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